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Bißfest

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Bißfest
Neue Materialien machen die Zahnbehandlung perfekt. Im Mund sind Kunst und Natur kaum noch zu unterscheiden. Exzentrische Kunststoffe und Keramiken sorgen für schönen und haltbaren Zahnersatz. Bei der Vorbeugung helfen Mixturen, die Karies erst gar nicht angreifen lassen.

Einmal ehrlich: Es gibt Leute, die sieht man lieber aus der Ferne – der Zahnarzt ist meist einer davon. Etwa jeder zehnte Deutsche hat sogar extreme Angst vor ihm und seinem sirrenden Bohrer, schätzt der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen.

Manchen Zahnärzten ist der richtige Umgang mit der Angst sogar eine psychologische Schulung wert. Pragmatischer ist der Versuch der Dentalindustrie, der Angst die Grundlage zu rauben: Ein neuer “chemischer Bohrer” verspricht Geräuschlosigkeit und weniger Schmerzen. Dabei wird ein Gel (Markenname: Carisolv) auf die Zähne aufgebracht. Durch Schaben mit einem Spezialinstrument kann der Zahnarzt 30 Sekunden später die von Karies befallene Stelle abtragen.

Die Markteinführung dieses Gels soll in Deutschland spätestens Anfang 1999 erfolgen. Doch das laute Medien- echo auf Carisolv hat den Nerv der Zahnärzte empfindlich getroffen. “Die Methode ist wissenschaftlich nicht ausreichend geprüft – beispielsweise ist umstritten, ob die Karies vollständig entfernt wird”, kritisiert Prof. Matthias Kern vom Zentrum Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität Kiel. Selbst Dan Ericson, Mitentwickler von Carisolv, räumt ein, daß das teure Gel den rotierenden Bohrer nicht vollständig ersetzen wird.

Trotz neuer Behandlungsmethoden wird die Zahnarztpraxis auch in Zukunft keine schmerzfreie Zone sein. Der rotierende Bohrer allerdings könnte bei vielen Behandlungen bald ausgedient haben: “Bei bis zu 90 Prozent aller Bohrungen werden die Flächen von Nachbarzähnen angeschliffen, an denen sich dann häufiger Karies entwickelt als an unversehrten Zähnen”, sagt Dr. Burkard Hugo, Oberarzt an der Klinik für Zahnerhaltung und Paradontologie der Universität Würzburg.

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Hugo hat ein Instrument entwickelt, das nicht rotiert, sondern Ultraschall-schnell schwingt. Die Instrumentenaufsätze sind auf der zahnzugewandten Seite als Halbkugel oder als Halbbirne ausgeformt und nur dort mit Diamantpulver belegt. In Richtung der Nachbarzähne ist die schwingende Feile dagegen glatt und kann deshalb keinen Schaden anrichten.

Doch wer zum Zahnarzt zur Kontrolle geht, hofft meist, daß der gar nicht erst bohrt. Eine Impfung gegen Karies könnte das möglich machen. “An der Immunisierung gegen Karies wird weltweit intensiv geforscht”, sagt Dr. Volker Rheinberger, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei der Liechtensteiner Dentalfirma Ivoclar/Vivadent. Doch der Impfschutz steht noch in den Sternen, denn:

Für Karies ist nicht nur eine Bakterienart verantwortlich. Daher wäre mit einer Impfung gegen einen einzigen Typ von Keimen nicht viel gewonnen. Außerdem ist es prinzipiell schwierig, einen Impfstoff gegen Bakterien zu entwickeln. (Die meisten Impfseren wirken gegen Viren, die im Mund jedoch keine Rolle spielen.) Im Gegensatz zu herkömmlichen Impfungen, die über die Blutbahn wirken, muß der Kariesschutz über den Speichel erfolgen.

Und so gibt es bislang nur ein sicheres Rezept für gesunde Zähne: regelmäßiges Zähneputzen. Viele Behandlungen sind nur nötig, weil die Patienten beim Zähneputzen pfuschen. Der Gang zum Zahnarzt wird trotz allem Putzen jedoch nicht überflüssig – sagen die Zahnärzte. Sie sind es leid, daß ihre Praxen lediglich als Reparaturwerkstätten gelten, sagen Matthias Kern und Elmar Hellwig, Professor an der Universität Freiburg. Zum guten Vorbeugeprogramm gehört der richtige Gebrauch von Zahnseide, Interdentalraumbürste und Mundspüllösung. Manche Zahnärzte bieten dazu Kurse an, deren Kosten die Krankenkassen oft übernehmen.

Außerdem gibt es neue Vorbeuge-Mixturen aus den Laboratorien der Dentalindustrie: Mit Hilfe von Schnelltests kann der Zahnarzt die sogenannte Pufferkapazität des Speichels bestimmen – ein indirektes Maß für die Kariesgefahr. Kunststoffmaterial kann die sogenannten Fissuren – Gruben und Einschnitte auf den Kauflächen der Backen- und Mahlzähne – verschließen. Sie sind vor allem bei Kindern besonders durch Karies gefährdet. Lacke, die Fluoride enthalten, machen den Zahnschmelz widerstandsfähiger gegen einen bakteriellen Angriff.

Auch wenn repariert werden muß, kann der Zahnarzt vorbeugen: Er füllt dazu das päparierte Loch im Zahn mit Materialien, die vorbeugend Fluoride oder antibakterielle Wirkstoffe abgeben. Denn der Raum zwischen Füllung und Zahn wird besonders leicht zum neuen Angriffspunkt für Karies. Raffinierte Füllstoffe setzen ihre Zusätze nicht ständig frei, sondern nur dann, wenn das Milieu an der Zahnoberfläche sauer wird – ein Indiz, daß die bakterielle Attacke begonnen hat.

Der Klassiker unter den Füllstoffen, das Amalgam, kommt ohne solche Extras aus: Seine Korrosionsprodukte dichten automatisch den stark gefährdeten Zwischenraum ab und schützen vor Bakterienbesiedlung. Amalgam ist nach einhelliger Meinung der Fachwelt überhaupt besser als sein Ruf. So kommt das “Untersuchungszentrum Amalgam” der Universitätszahnklinik Münster nach einer aktuellen Studie zu dem Schluß, daß die Beschwerden von Patienten nicht auf Amalgamfüllungen zurückgeführt werden können – mit Ausnahme von seltenen Allergien.

Doch der Trend zu Ersatzstoffen hält an – verlockend an ihnen ist, daß sie die Farbe der Zähne haben und daher kaum auffallen. Und weil sich mit unsichtbaren Füllungen und Zahnersatz gut verdienen läßt, läuft derzeit ein hitziges High-Chem-Wettrennen.

Immerhin gelten schöne Zähne für viele Menschen als Visitenkarte. Das ideale Material muß zahnfarben sein, darf im Körper keine Gesundheitsschäden oder Allergien hervorrufen und soll auch nach millionenfachem Kauen und aggressiven Speisen fest und haltbar sein. “Noch vor ein paar Jahren war ich überzeugt, daß gute ästhetische Eigenschaften eines Zahnersatz-Materials nicht mit hoher Festigkeit zu vereinbaren sind”, sagt der Experte Rheinberger von Ivoclar/Vivadent. Damals wurden Kunststoffe wegen ihrer geringen mechanischen Belastbarkeit bestenfalls eingesetzt, um das Metallgerüst von Zahnbrücken zu überziehen und optisch zu verschönern.

Doch mit den Verbundwerkstoffen der neuen Generation können die Lücken auch metallfrei geschlossen werden. Mit Plastik haben diese Materialien nichts gemein: Ihr Kunststoffanteil ist mit Glasfasern verstärkt oder mit keramischen Teilchen gefüllt – jedes von ihnen weniger als einen tausendstel Millimeter klein.

Werkstoffe für Teilkronen und Kronen werden meist gegossen oder gepreßt. Dazu benötigt der Zahnarzt einen Gebiß-Abdruck – eine unappetitliche Prozedur, bei der der Patient auf einer gummiartigen Substanz herumkauen muß. Inzwischen gibt es Abhilfe: Wenn der Zahnmediziner entsprechend ausgerüstet ist, kann er den präparierten Zahn mit Hilfe einer kleinen Videokamera optisch abtasten. Die Daten werden an einen Computer weitergeleitet. Dieser wiederum steuert eine Maschine, die aus einem kleinen Werkstoff´block die Krone fräst und schleift.

Die Patienten schätzen an diesem CEREC-System, daß die Krone während eines einzigen Zahnarztbesuchs erstellt werden kann. Experten betonen allerdings, daß der Computer noch nicht so präzise arbeitet wie ein zahntechnisches Labor. Wer eine Brücke braucht, muß allemal nach wie vor in die Knetmasse beißen: “Die Einsatzmöglichkeiten des Systems sind noch begrenzt”, betont der Kieler Zahnarzt-Professor Kern.

Immerhin können mit CEREC und anderen Frässystemen sogar Hochleistungskeramiken als Zahnersatz verarbeitet werden. Auf herkömmlichem Wege ist das nicht ohne weiteres möglich. Hochleistungskeramiken sind extrem biege- und rißfest. Der Zahnarzt kann solche High-Tech-Brücken an die Haltezähne kleben, die er zuvor kaum abzuschleifen braucht – eine schonende und schmerzarme Methode.

Keramiken und Kunststoffe verdrängen wegen ihrer zahnähnlichen Optik und ihrer guten Verträglichkeit immer mehr die Metalle aus dem Mund. Mit einer Ausnahme: Titan dient zunehmend als künstliche Zahnwurzel, die in den Kieferknochen geschraubt wird. Nachdem sie einige Monate später eingeheilt ist, können darauf wiederum Zahnkronen aus Keramik oder Verbundstoffen befestigt werden. Inzwischen bieten mehrere tausend Zahnärzte in Deutschland an, Titan-bewehrte Zähne zu implantieren.

Das Verfahren ist zwar teuer und zwingt den Patienten länger in den Zahnarztstuhl – doch für schöne, dauerhaft bissige Zähne nehmen das viele in Kauf.

Frank Frick / Volker Steeger

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