Wenn Bundesinnenminister Otto Schily die Kriminalstatistik verkündet, bleibt einer ruhig im Lande: der Freiburger Kriminologe Hans-Jörg Albrecht. „Seit Jahren wächst die Angst vor Kriminalität, obwohl die Zahl der Verbrechen in gewissen Bereichen sogar gesunken ist”, weiß der Professor vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Ein gutes Beispiel sind die Sexualmorde an Kindern. Deren Zahl ist in den letzten 20 Jahren zurückgegangen. Die Presseberichte darüber – und damit die Verunsicherung in der Gesellschaft – haben aber deutlich zugenommen. 1998, nach dem Dutroux-Skandal in Belgien, gipfelte die Angst in Deutschland im Gesetz zur Bekämpfung von Sexualkriminalität. „Ein rein symbolisches Gesetz”, kritisiert Albrecht. „Die Politiker wollten damit demonstrieren: Wir machen was.” Überhaupt hätten Politiker und Medien entdeckt, daß „real crime” die Massen mobilisiert. Der Grund für die Furcht liege aber tiefer: „Wenn Menschen Angst vor Arbeitslosigkeit haben, wenn sie familiäre Bindungen verlieren – dann steigt auch ihre Angst vor Kriminalität. Die Bedrohung wird immer im Gesamtpaket wahrgenommen”, ist Albrecht überzeugt.
Hans-Jörg Albrecht / Marcel Falk