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Alte wollen neue Technik

Allgemein

Alte wollen neue Technik
Viele ältere Menschen wollen nicht auf Computer oder Handy verzichten. Aber statt herumspielen und probieren zu müssen, erwarten sie einen klaren Nutzen und eine logische Bedienung. Die Techniker kümmert das bislang kaum – was den Seniorenmarkt versperrt.

Holde Stumm hat ihre Briefe Zeit ihres Lebens mit der Schreibmaschine geschrieben. Doch vor Kurzem ließ sich die 66-Jährige zeigen, wie sie ihre Korrespondenz auf dem Computer erledigen kann. Sie überlegt nun, ob sie einen Internet-Anschluss braucht. Damit könnte sie zum Beispiel ihre Bahnfahrkarten einfacher kaufen, denn der Bahnschalter in ihrer kleinen Stadt hat zugemacht.

Klaus Rütger (67) hat schon seit Jahren einen Breitbandanschluss mit Flatrate und tauscht sich in Sammlerforen mit anderen Liebhabern von alten Dampfmaschinen aus. Ohne das Internet wäre er in seinem Dorf vollkommen abgeschnitten. Auch Medikamente bestellt er oft über das Netz, er besitzt ein Handy und digitalisiert jetzt seine Videosammlung.

Auf moderne Technik wollen die Älteren keineswegs verzichten, auch wenn sie sich dafür mit neuen Geräten auseinander setzen müssen und dabei auf Schwierigkeiten stoßen, an die die meist jüngeren Entwickler nicht gedacht haben. Viele Senioren geben sich selbst die Schuld, wenn sie mit einem neuen Gerät nicht zurechtkommen. Oft lassen sie das neue Handy frustriert in der Ecke liegen oder verzichten darauf, den Videorecorder zu programmieren, obwohl sie die Geräte durchaus praktisch finden.

Ein Apparat soll etwas erledigen und nicht selbst Arbeit machen, finden die Kunden völlig zu Recht. Erst allmählich erkennen die Hersteller, dass ihnen ein großer Markt verschlossen bleibt, wenn sie sich nicht mit den Interessen der Älteren beschäftigen und benutzerfreundliche Geräte entwickeln. Doch Seniorenhandys oder Seniorenautos nennen selbst solche weitsichtigen Entwickler ihre Produkte lieber nicht.

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„Technik für Ältere, das hat immer so einen Sanitätshausgeruch” , nennt Mattias Göbel das gängige Vorurteil. Göbel hat das Forschungsprojekt SENTHA (SENiorengerechte Technik im HAushalt) an der Technischen Universität Berlin mit geleitet. Gesunde Senioren brauchen keinen langstieligen Schuhanzieher, Treppenlift oder Rollator, sondern interessieren sich eher für gefederte Walking-Stöcke. In SENTHA hatte eine Gruppe von gesunden und engagierten Senioren seit 1997 mit Ingenieurstudenten und Designern der Berliner Universität der Künste neue Produktideen entwickelt und ausprobiert. Die Teilnehmer waren zwischen 55 und 90 Jahre alt, darunter Ingenieure, aber auch viele Menschen, die sich als „eher technikfern” bezeichneten. Obwohl das DFG-Projekt 2004 auslief, treffen sich etwa 20 Teilnehmer weiter regelmäßig. Sie sind gefragt bei Unternehmen, die ihre Produkte kritisch begutachten lassen wollen.

„Gestern haben wir einen großen Hersteller beraten, wie sein Handy aussehen könnte”, berichtet Karin Wuttig (65). Der blonden, schlanken Dame schwebt keineswegs ein Klotz in Beige mit drei klobigen Knöpfen vor, sondern ein Handy auf dem neuesten Stand: Sie will auch SMS-Texte oder Fotos versenden können. Sogar GPS wünschen sich viele Senioren auf ihrem Mobiltelefon, damit man sie im Notfall orten kann. „Die meisten Entwickler sind gerade so um die 30, die denken an viele Dinge gar nicht, die für Ältere interessant oder schwierig sind”, sagt ihr Mann Klaus Wuttig (68), ein ehemaliger Ingenieur.

Dabei können junge Designer die Last des Alters am eigenen Leib erfahren, mit dem „Age-Explorer-Anzug”: Eine gelblich beschichtete Brille schränkt Blickwinkel und Sehschärfe ein, Kopfhörer dämpfen die Geräusche, flache Gewichte und Versteifungen an den Gelenken machen jede Bewegung anstrengend, dazu noch die klobigen Handschuhe – und es kann losgehen mit dem Marsch durch die moderne Konsumlandschaft: Kommt man noch über die Straße bei den kurzen Ampelphasen? Lässt sich die Beschriftung auf Produkten entziffern? Ist der Kontrast auf dem Display stark genug, um die Texte zu lesen? Oder bekommt man die Verpackung gar nicht erst auf?

Das sind wichtige und häufige Kritikpunkte, aber der Age-Explorer greift noch zu kurz. Nicht nur die kleinen Knöpfe oder Buchstaben machen den Älteren zu schaffen, sondern auch die andere Erfahrung mit Technik, meint Kai Uwe Neth, der ebenfalls am SENTHA-Projekt als Ingenieur mitgewirkt hat und ein Designbüro leitet: Die heute Älteren sind mit einer Technik groß geworden, die nach einer klaren Vorschrift zu bedienen war.

Beispiel: Bei einem SENTHA-Versuch sollten 63 Teilnehmer zwischen 55 und 91 Jahren auf vier handelsüblichen Handys die Klingeltonlautstärke einstellen. Nur 27 Prozent schafften das ohne Hilfe, die anderen kamen überhaupt nicht zurecht. Eine studentische Kontrollgruppe hatte dagegen keine größeren Schwierigkeiten. Göbel und Neth hatten erwartet, dass die Älteren vor allem mit den winzigen Tasten oder dem kleinen Display Schwierigkeiten bekommen würden. Aber als größte Hürde erwies sich die Menüsteuerung, die für die älteren Teilnehmer völlig unverständlich blieb. Denn bei einem „Menü” haben die Tasten keine feste Funktion, sondern blättern nur vorwärts oder rückwärts im Funktionsangebot, das sich zudem noch mehrfach verzweigen kann. Einige Senioren vermuteten, dass sie die Bedienschritte auswendig lernen müssten – und zwar als strikte Folge von Tastendrücken. Resignierende Folgerung eines Seniorentesters: „Nur die jungen Leute können sich so was noch merken, in meinem Alter ist das Gedächtnis nicht mehr so gut.” Hinzu kommt die Angst, durch einen falschen Knopfdruck das Gerät zu beschädigen.

Senioren lesen oft die Bedienungsanleitung von vorne bis hinten durch. So hoffen sie, die Bedienung auf dem schnellsten Weg zu lernen. Die Jüngeren dagegen lesen die Menüpunkte und probieren herum, bis es funktioniert. Sie schauen nicht in die Anleitung hinein, die ja meist auch schlampig (und winzig) geschrieben ist. Für Karin Wuttig sind heute viele Bedienungen unlogisch, weil die verschiedenen Funktionen willkürlich aufeinander folgen.

Gemeinsam mit den Studenten haben die SENTHA-Teilnehmer ein Klapphandy entwickelt, das ihren Wünschen näher kommt: Zusammengeklappt ist es schön klein und flach, kann aber einen Notruf senden, wenn es mehrmals mit der Faust seitlich zusammengepresst wird. Bei einem Herzanfall oder einem Hexenschuss muss der Besitzer also nicht erst die Lesebrille suchen.

Auseinander gefaltet besitzt das Mobiltelefon ein großes Display, einen größeren Lautsprecher, eine manuell bedienbare Lautstärkenregelung sowie ein Rändelrad, mit dem sich im Handy-Telefonbuch blättern lässt. Die Basisfunktionen – Telefonieren, SMS oder Kamera – können durch ein Rad am unteren Rand des Gerätes festgelegt werden, und nur die jeweils nötigen Tasten sind beleuchtet und aktiviert. „Wir möchten das so haben: Erst die Grundfunktion, nämlich das Telefonieren. Das muss ganz einfach sein. Dann SMS und schließlich die Kamera”, sagt Klaus Wuttig. Doch bei vielen modernen Geräten blockieren höhere Funktionen die Grundfunktionen.

Die Wissenschaftler vom Projekt SENTHA haben auch getestet, mit welchen Eingabegeräten ältere Menschen am besten zurechtkommen. „Da unterscheiden sie sich nicht grundsätzlich von jüngeren Erwachsenen”, meint Matthias Göbel. Senioren und eine Gruppe Mittzwanziger spielten auf einem Bildschirm ein Spiel, das sie mit sechs Eingabegeräten wie Maus, Tastenfeld oder Touchpad steuerten. Die Reaktionszeiten der Senioren waren länger als die der jungen Erwachsenen. Mit dem Touchpad machten die Älteren mehr Fehler, während sie mit dem Tastenfeld etwas genauer als die Jungen arbeiteten. Die Ältesten bevorzugten das Tastenfeld, doch Maus und Leuchtzeiger erwiesen sich als schneller bei der Eingabe, obwohl manche Senioren etwas mit ihren zittrigen Händen zu kämpfen hatten.

Die Automobilindustrie versucht, sich auf die älter werdende Kundschaft einzustellen, denn die ist immerhin die zweitstärkste Käufergruppe von Neuwagen. Die Senioren sind anspruchsvoll und können sich in der Regel etwas leisten. Manche Entwicklungen, die den Bedienungskomfort erhöhen sollten, gehen allerdings gründlich daneben, meint Matthias Göbel skeptisch. So hat BMW im Cockpit seines Spitzenmodells eine Armatur installiert, die sehr aufgeräumt wirkt: Ein einziger Knopf regelt die Bedienung – aber dahinter verbergen sich 500 Funktionen, verteilt auf 7 Menüebenen. Während der Fahrt muss der Fahrer das Display mit den aktivierten Funktionen im Auge behalten. Dabei wissen alle Alternsforscher, dass Senioren für den Wechsel der Aufmerksamkeit zwischen Verkehrsgeschehen und Innenraum mehr Zeit benötigen als die Jüngeren.

Die Psychologin Carryl L. Baldwin von der amerikanischen Old Dominion University in Norfolk hat die Ergebnisse vieler Studien zusammengestellt. Danach haben ältere Fahrer zwar nicht mehr Unfälle als jüngere, aber bezogen auf die gefahrenen Kilometer sind Ältere die gefährlichsten und gefährdetsten Fahrer. In einer der Studien registrierte ein bordeigenes GPS Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung, und eine Videokamera nahm das Verhalten der Fahrer auf. Alle Testfahrer legten eine 30 Kilometer lange Route im eigenen Fahrzeug zurück. Die jungen Teilnehmer fuhren rasanter und hatten mehr gefährliche Situationen durch überhöhte Geschwindigkeit, zu spätes Stoppen an Kreuzungen oder zu dichtes Auffahren.

Bei den Älteren waren diese Gefahrenmomente zwar geringer, doch sie machten dafür andere Fehler: Sie fuhren häufiger an Stoppschildern vorbei oder bogen falsch ab. Wurde der Verkehr unübersichtlich, konzentrierten sich Ältere nur auf die Hauptfahrtrichtung und neigten dazu, Seitenstraßen zu ignorieren. Bei einem eingebauten Routenplaner, der den Straßenplan anzeigte, brauchten Ältere über zwei Sekunden, um die nächste Information abzulesen. Diese Zeit fehlte ihnen, um das Geschehen auf der Fahrbahn zu verfolgen. In zwei Sekunden legt man bei Tempo 50 immerhin 27 Meter zurück.

Auch die Wuttigs kennen Navigationssysteme, aber Klaus Wuttig winkt ab: „Mein Bekannter fährt nach GPS und weiß hinterher nie, wie er ans Ziel gekommen ist. Ich will mich noch anstrengen und mich nicht völlig auf das GPS verlassen.” Viele seiner Altersgenossen, so weiß er, wollen nicht betüttelt werden, sondern ihre Kräfte fordern.

Während gesunde Ältere nicht bevormundet werden wollen, sind Menschen, die bereits Hilfe benötigen, eher bereit, Eingriffe in ihr Privatleben hinzunehmen – wenn sie so länger selbstständig bleiben können. Zum Beispiel beim Wohnen: In dem Projekt „Aware home” haben Wissenschaftler um die Psychologin Wendy Rogers vom Georgia Institute of Technology in Atlanta, USA, Wohnungen entworfen, in denen umfassende Überwachungsvorrichtungen installiert sind. So sendet das „Digitale Familienporträt” Aktivitätsprofile des Bewohners an ausgewählte Angehörige. Testpersonen zwischen 65 und 75 Jahren probierten die Wohnungen aus und bewerteten die einzelnen Einrichtungen. „Einige der Älteren sagten, sie würden sich sicherer fühlen, wenn ein Angehöriger die Möglichkeit hätte, sie zu beobachten”, berichtet Wendy Rogers.

Auch in Deutschland wird seit Jahren Haustechnik entwickelt, die das Leben einfacher machen soll. Im „Smart Home” vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation lassen sich über einen Bildschirm Waschmaschine und Herd ansteuern, Heizung oder Rollläden regeln. Im Prinzip ist da die Installation von Videokameras möglich, sodass Menschen sich von zu Hause aus einem Arzt vorstellen könnten.

Stromlinienförmige Alte gibt es nicht – Ältere sind viel unterschiedlicher in ihren Bedürfnissen und Vorlieben als Jugendliche, weiß die Marktforschung. Deshalb sind sie kaum über einen „Werbe-Kamm” zu scheren. Bislang wird kaum ein Produkt mit dem Prädikat „seniorengerecht” beworben, außer den technischen Hilfsmitteln bei Behinderungen.

Anstatt älteren Nutzern das Gefühl zu vermitteln, der neuen Technik nicht mehr gewachsen zu sein, sollten die Entwickler mit Kognitionspsychologen und Testpersonen jeden Alters zusammenarbeiten. Denn wer Technik für Ältere entwirft, schließt die Jüngeren automatisch mit ein, wer aber Technik nur mit Blick auf Jüngere entwickelt, schließt die Älteren aus, lautet ein Leitsatz bewusster Designer, der sich unter dem Schlagwort „ Design for all” allmählich durchsetzt. Auf einem MP3-Player lassen sich schließlich Bachkantaten genauso gut abspeichern wie Technomusik. ■

Antonia Rötger

Ohne Titel

Dr. Antonia Rötger lebt in Berlin und bearbeitet mit Vorliebe Themen, die zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften liegen.

COMMUNITY INTERNET

Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren in Deutschland mit vielen weiterführenden Web-Adressen:

www.bagso.de

Informationen zu Web-Führerschein, Weiterbildungen als SeniorentrainerIn, Online-Kompetenz für die Generation 50plus (gefördert vom BMFSFJ):

www.50plus-ans-netz.de

Computerkurse online zu Themen wie Videobearbeitung, Musikbibliothek, Familienforschung:

www.senioren-lernen-online.de

Informationsangebot des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

www.bmfsfj.de/Politikbereiche/aeltere-menschen.html

Senior research group, hervorgegangen aus dem Projekt SENTHA an der Technischen Universität Berlin:

www.srg-berlin.de

Dachorganisationen der Senioren in den USA:

www.aarp.org

Ohne Titel

· • Viele heutige Senioren bestellen sich ihre Fahrkarte auch übers Internet und wollen mit dem Handy schon mal fotografieren.

· • Aber sie scheitern oft an der unlogisch erscheinenden Bedienung moderner Technik.

· • Für pfiffige Produktentwickler eröffnet sich hier ein weites Betätigungsfeld.

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