Nach der biblischen Schöpfungsgeschichte wurden Adam und Eva, die ersten Menschen, aus dem Paradies vertrieben, und ihre Nachkommen verbreiteten sich allmählich auf der Erde. Auch die moderne Sichtweise unserer Evolution geht davon aus, daß es eine kleine genetische Gruppe war, von der alle heutigen Menschen abstammen – allerdings nicht nur von einem einzigen mythischen Urelternpaar. Wann und wo diese Population lebte, haben amerikanische Genetiker nun weiter eingrenzen können.
“Wir haben vermutlich die Spur von Adam entdeckt”, freuen sich der Molekularbiologe Peter Underhill und seine Kollegen von der Stanford University. Dank einer neuen Methode, Varianten desselben Gens in verschiedenen Menschen sehr schnell aufzuspüren, haben sie einen als M42 bezeichneten Abschnitt auf dem Y-Chromosom einiger hundert Männer aus aller Welt verglichen.
Die Y-Chromosomen, die vä-terlicherseits an die Söhne weitergegeben werden, sind weltweit nahezu identisch. Allerdings haben sich im Lauf der Generationen in einzelnen funktionslosen Abschnitten – darunter M42 – harmlose Veränderungen angesammelt, die bei Männern aus verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich häufig sind oder auch fehlen. Diese Mutationen ermöglichen einen Rückschluß auf den Verlauf der stammesgeschichtlichen Entwicklung.
Die Untersuchungsmethode der amerikanischen Molekulargenetiker: Zunächst vervielfachten sie im Reagenzglas das Erbgut, das beispielsweise aus Blutproben gewonnen wurde. Dann brachen sie die DNA-Doppelstränge durch Erhitzen auf und vermischten die Einzelstränge von verschiedenen Menschen. Nach dem Abkühlen lagerten sich diese Einzelstränge wieder paarweise aneinander. Wo sie sich glichen, erschienen sie nur als eine Linie, wenn sie unter dem Mikroskop im ultravioletten Licht betrachtet wurden. Unterschiede in der Gensequenz machten sich dagegen als Schlaufe oder Doppellinie bemerkbar. So konnten die Wissenschaftler den Mutationen auf die Schliche kommen.
Das Ergebnis der Genvergleiche: Die Wurzel des menschlichen Y-Chromosom-Stammbaums liegt in Afrika. Ein bestimmtes Merkmal des Abschnitts M42 kommt nirgendwo anders auf der Welt vor – und auch in Afrika nur bei 5 bis 15 Prozent der Äthiopier, Sudanesen und Khoisan, zu denen beispielsweise die früher als “Buschleute” und “Hottentotten” bezeichneten Bevölkerungsgruppen gehören. Menschenaffen tragen dieses Merkmal ebenfalls. Den Rechnungen der Forscher zufolge hat es sich vor höchstens 200000 Jahren zufällig verändert und anschließend ausgebreitet.
Bei der Untersuchung einer anderen Region des Y-Chromosoms bei 1500 Männern kamen Michael Hammer und seine Kollegen von der University of Arizona zu einem ähnlichen Resultat. Sie fanden ein bestimmtes genetisches Merkmal, das auch Schimpansen besitzen, ebenfalls nur bei wenigen Afrikanern, darunter wiederum den Khoisan. Sie gelten damit als unmittelbare Nachfahren des rekonstruierten Adam.
Die neuen Studien belegen die Hypothese, daß alle heutigen Menschen von einer kleinen Gruppe von Afrikanern abstammen, die vor nur etwa 200000 Jahren lebten und alsbald die anderen Kontinente der Erde besiedelten. Wo es anatomisch ältere Menschen gab, in Asien und Europa, sollen sie diese verdrängt und allenfalls einen Teil ihrer Gene weitervererbt haben.
Dieses “Out of africa”-Modell erfreut sich seit 1987 wachsender Popularität. Damals hatte eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler unter Leitung des inzwischen verstorbenen Genetikers Allan Wilson von der University of California in Berkeley einzelne Abschnitte des Erbguts in Mitochondrien untersucht, den Energiefabriken der Zellen. Mitochondrien besitzen eigene Gene. Sie gelangen als Bestandteile der Eizelle unabhängig von der DNA im Zellkern in die nächste Generation – werden also nur mütterlicherseits vererbt.
Die “genetische Eva” eroberte damals die Schlagzeilen in der Presse. Denn die Studie führte die Mitochondrien-Gene aller heutigen Menschen auf eine kleine Gruppe von afrikanischen Frauen zurück, theoretisch sogar auf nur eine einzige Frau, die gewissermaßen die Urmutter gewesen sein soll.
Die jüngst entdeckten Spuren eines molekulargenetischen Adams stellen nun das männliche Pendant zu den mitochondrialen Verwandtschaftsdaten dar. Auch die Zeitskala stimmt perfekt überein. “Wir freuen uns, daß die Y-Daten dasselbe Bild wie die Daten der Mitochondrien-Gene ergeben”, kommentiert Mark Stoneking von der Pennsylvania State University, der Evas Spuren mitentdeckt hat.
Der Fund des genetischen Adams ist ein weiterer Schlag gegen das Modell vom “multiregionalen Ursprung” des Menschen. Zwar gehen auch dessen Vertreter davon aus, daß unsere letzten gemeinsamen Ahnen in Afrika gelebt haben – aber viel früher, als es die “Out of africa”-Hypothese annimmt: bereits vor einer halben bis einer Million Jahre.
Aus dieser Wurzel sollen sich dann drei genetisch mehr oder weniger isolierte Zweige entwickelt haben, die vor allem in Afrika, Europa und Asien beheimatet waren und auch anatomisch ältere Menschengruppen wie den Neandertaler und den Homo erectus einschlossen. Die “Out of africa”-Hypothese geht dagegen von einer viel engeren Verwandtschaft aller heute lebenden Menschen aus sowie von einer größeren genetischen Kluft zwischen ihnen und den ausgestorbenen Menschengruppen. Knochenfunde können zwischen den Modellen bislang nicht entscheiden. Die genetischen Daten sprechen dagegen eindeutig für die “Out of africa”-Hypothese.
Allerdings könnte die Populationsdynamik noch komplexer verlaufen sein, als bislang gedacht. Michael Hammer fand nämlich auch ein Merkmal auf dem Y-Chromosom, das in Asien entstanden ist und erst durch Rückwanderungen nach Afrika kam. Ähnliche Indizien haben andere Forscher schon vor einem Jahr in einer Variante des Beta-globin-Gens entdeckt. Offenbar war die Vertreibung aus dem Paradies nicht endgültig.
Rüdiger Vaas