Der Sieg des Sozialismus schien vor der Tür zu stehen: Bei den Reichstagswahlen am 12. Januar 1912 erhielt die deutsche Sozialdemokratie, die seit 1891 unter dem Kürzel „SPD“ firmierte, über 4,25 Millionen Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von 84,5 Prozent. Das bedeutete, dass 34,8 Prozent der Wahlberechtigten – freilich wegen der Wahlgesetze ausschließlich Männer über 25 Jahre – ihr Kreuz bei der Arbeiterpartei machten. Für die kommende Legislaturperiode stellte die SPD mit insgesamt 110 Abgeordneten die größte Fraktion im Reichstag. Der sogenannte schwarz-blaue Block aus Konservativen und Nationalliberalen, der Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg unterstützte, verlor erheblich an Mandaten.
Die SPD setzte damit ihren Aufstieg im Kaiserreich fort. Seit dem Ende der Sozialistengesetze im Jahr 1890 hatte sie in den anstehenden Wahlen ihren Stimmenanteil fast verdoppelt. Mit Hunderttausenden von Mitgliedern, darunter auch viele Frauen, wurde die SPD zur schlagkräftigsten organisierten Massenpartei Europas. Aber: Der Erste Weltkrieg schuf neue Herausforderungen, dazu war mit der Reichstagswahl von 1912 die SPD-Wählerschaft fast ausgeschöpft. Die blieb die Partei der industriell-gewerblichen Arbeiter. Wählergruppen aus anderen Schichten wie Beamte oder Angestellte konnte sie nicht für sich gewinnen.