Das Telegramm am Aschermittwoch hätte stutzig machen können: In Straßburg, das seit 1871 zum Deutschen Reich gehörte, übergab am Morgen des 5. Februar 1913 ein Postbeamter eine Depesche mit überraschendem Inhalt. Darin kündigte kein Geringerer als der deutsche Kaiser Wil-helm II. für Punkt zwölf Uhr sein Kommen „im Kraftwagen“ an. Die gesamte Garnison der Stadt mit ihren 18.000 Soldaten sei sofort zu alarmieren. Das Telegramm versetzte ganz Straßburg in helle Aufregung. Die Einwohnerschaft legte ihre Sonntagskleidung an, die Soldaten ihre Galauniform. Doch selbst nach stundenlanger Warterei im kalten Wind war vom Monarchen nichts zu sehen. Ein Anruf beim Hofmarschallamt ergab, dass der Kaiser im 1000 Kilometer entfernten Königsberg weile – Straßburg sei offenbar einem Schwindel aufgesessen!
Schnell wurde der Postbeamte ermittelt: Es handelte sich um den ehemaligen Zahlmeister August Wolter. In der Diktion der Zeit diagnostizierten die Ärzte „überwertige“, heute würde man sagen wahnhafte, Ideen. Es folgte die Einweisung Wolters in eine „Irrenanstalt“. Auch für den Gouverneur von Straßburg, Wilhelm von und zu Egloffstein, der ohne zu zögern fast ein halbes Armeekorps hatte aufmarschieren lassen, nahm die Episode ein unrühmliches Ende: Der hochdekorierte Offizier musste sein Rücktrittsgesuch einreichen. Die Öffentlichkeit fühlte sich an das Spektakel um den „Hauptmann von Köpenick“ erinnert, der 1906 das Rathaus in Cöpenick besetzt hatte. Und wie schon damals kritisierte die Presse erneut das kritiklose Obrigkeitsdenken von Amtsträgern.