Nach dem Sturz eines tyrannischen Regimes im Jahr 403/02 v. Chr. suchte man in Athen einen Neuanfang. Vielleicht als Zeichen dafür beantragte ein gewisser Archinos, für offizielle Dokumente ab sofort das ionische anstelle des attischen Alphabets zu verwenden. Es heißt, er habe dies bereits zuvor in Flugschriften befürwortet. Bei den Zeitgenossen scheint seine Initiative keinen großen Eindruck hinterlassen zu haben, man schrieb Ionisch ohnehin schon seit langem neben Attisch.
Mit Athens Aufstieg zur überregionalen Macht erschien das kleinasiatische Alphabet offenbar geeigneter für die Verwendung auch außerhalb Attikas. Es war schließlich die Schrift der prestigeträchtigen Wissenschaftsregion Ionien! Seit archaischer Zeit bestanden verschiedene griechische Alphabete nebeneinander und spiegelten häufig die Besonderheiten der jeweiligen Dialekte wider. Dies konnte zu Missverständnissen führen, da manche Zeichen jeweils unterschiedlichen Lauten zugeordnet waren. Nach Archinos’ Antrag begann der Siegeszug des ionischen Alphabets in ganz Griechenland. Die ionischen Zusatzzeichen etwa für die Laute ks oder ps fanden nun überall Verbreitung. Aufgrund von Athens Bedeutung wurde diese Schrift die Basis für die koine, das einheitliche „Standardgriechisch“, das sich im 4. Jahrhundert im ganzen Mittelmeerraum ausbreitete.