Es waren nicht seine ersten mahnenden Worte dieser Art. Doch als Ludwig Erhard in der Rolle des neugewählten Bundeskanzlers am 10. November 1965 seine Regierungserklärung hielt, schlug sein Appell hohe Wellen. Neben der Außenpolitik legte er den Schwerpunkt seiner Rede nämlich auf die wirtschaftliche Situation der noch recht jungen Republik. Ein erwartetes Defizit im Staatshaushalt von sieben Milliarden Mark, Verluste bei der Bundesbahn und steigende Kosten im Kohlebergbau bereiteten dem „Vater des Wirtschaftswunders“ Sorgen. Um das Problem zu lösen, so Erhard, müsse das deutsche Volk darüber nachdenken, die „wöchentliche Arbeitszeit um eine Stunde zu erhöhen“. Diesen Mahnruf verstand Erhard ganz im Sinn seiner Idee einer von selbstverantwortlichen Bürgern getragenen Marktwirtschaft.
Die Opposition, die SPD-Fraktion, wurde hellhörig. Sie vermutete hinter dieser Forderung „einen verschleierten Lohnabbau ohne volkswirtschaftliche Mehrleistung“. Auch der neue Shootingstar der Sozialdemokratie, Karl Schiller, kritisierte in der folgenden Aussprache über das Haushaltssicherungsgesetz „den überlebensgroßen Gedanken von der deutschen Überstunde“. Die Gewerkschaften schlugen in die gleiche Kerbe. Otto Brenner, streitbarer Vorsitzender der IG Metall, sah sich einer „unerhörten Herausforderung aller arbeitenden Menschen“ gegenüber. Der Vorschlag wurde nicht umgesetzt, und Erhard wirkte bereits zu Beginn seiner Kanzlerschaft angeschlagen. Die volle Legislaturperiode schaffte er dann nicht mehr.