Eigentlich predigte der Kölner Kardinal am Altjahrabend 1946 über alle zehn Gebote. Doch das versammelte frierende und hungernde Kirchenvolk hatte nur Ohren für diesen einen, das siebte Gebot betreffenden Satz: “Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der einzelne wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise durch seine Arbeit oder durch Bitten nicht erlangen kann.” Nüchtern betrachtet, war dies nichts anderes als eine Legitimation des Kohlenklaus. So hatten es die unter der bitteren Kälte leidenden Kölner verstanden – und so verstand es auch die britische Besatzungsmacht. Frings mußte sich vor den Besatzungsmächten rechtfertigen, denn seine “goldene Brücke zwischen juristischer und Alltagsmoral” hatte handfeste Folgen: Unter der Parole “Mir jon fringsen” betrieben die Kölner eifrig Selbsthilfe und bedienten sich an den Kohlenzügen. Vor den Vertretern der Militärregierung nahm Frings am 14. Januar keineswegs ein Blatt vor den Mund. Im Gegenteil. Er betonte noch deutlicher ein Argument, das auch in der Silvesterpredigt vorkam, aber in der Aufregung ums “Fringsen” untergegangen war: Die Unterversorgung mit Brennmaterial liege keineswegs an allgemeiner Knappheit, unterstellte Frings, all dies geschehe “seiner Überzeugung nach nur darum, um das Volk zu strafen.” Es ging dem Kardinal also offensichtlich nicht nur darum, seinen Schäfchen aus der moralischen Klemme zu helfen, sondern sie vielmehr auch zu einer Aktion gegen die Bestimmungen der Besatzungsmacht anzuhalten.
31. Dezember 1946
Die „Fringsenpredigt“16. Januar 2002
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