Machthunger, Giftmord, Blutschande: Lucrezia Borgia galt lange als die Femme fatale der Renaissance, an ihr arbeiteten sich die Zeitgenossen und die Nachwelt gleichermaßen ab. Die illegitime Tochter Kardinal Rodrigo Borgias wurde zum politischen Spielball ihres Vaters, als dieser 1492 zum Papst gewählt wurde. Als Alexander VI. seine Tochter 1498 aus politischem Kalkül das dritte Mal verheiratete, war sie gerade 18 Jahre alt – die vorherigen Ehen waren nie vollzogen worden und wurden annulliert.
Doch dass Lucrezia mehr als nur Heiratsobjekt war, tritt aus den Quellen weniger hervor als schillernde Berichte über ihre angeblichen Ausschweifungen. Dabei übernahm sie nicht nur Teile der Geschäfte ihres Vaters, sondern wurde auch zur Renaissancefürstin: Am 8. August 1499 ernannte Alexander VI. Lucrezia zur Regentin des zum Kirchenstaat gehörenden Spoleto und des benachbarten Foligno mitsamt den angrenzenden Distrikten. Diese Position war bis dahin mit hochrangigen Kirchenmännern besetzt worden, jedoch niemals zuvor mit einer Frau – ein Skandal. Derlei interessierte den Papst nicht, denn ihm war daran gelegen, die Machtposition der Familie Borgia auszubauen. Dass Lucrezia nicht nur, so heißt es, außergewöhnlich schön, sondern auch klug und geschäftstüchtig war, konnte sie nun also als Regentin unter Beweis stellen und erste Erfahrungen in Verwaltungsaufgaben sammeln – wenngleich nur für wenige Monate, ehe sie sich zur Geburt ihres ersten Kindes nach Rom zurückzog.