Annie Ernaux gehört zu den bedeutendsten französischen Schriftstellerinnen unserer Zeit. Hierzulande wurde sie durch die 2017 erfolgte deutsche Übersetzung ihres Buchs „Les années“ von 2008 (wieder)entdeckt. Die Bezeichnung als „Ethnologin ihrer selbst“ trifft den Kern: Ernaux, selbst aus einfachen Verhältnissen stammend, schildert scheinbar emotionslos und sachlich ihr Leben vor dem Hintergrund der sozialen Realitäten im Nachkriegsfrankreich. Ihre „Erinnerungen eines Mädchens“ wandern zurück in den Sommer 1958, den sie in einer Ferienkolonie verbrachte. Ernaux schildert ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Zentral ist das Gefühl der Scham, das sie mit dieser unerfüllten Liebe verbindet. „Was sie zu sein glaubte, löste sich auf“, beobachtet sie, ein Ich-Verlust, der prägend für ihr Leben wurde.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Annie Ernaux
Erinnerungen eines Mädchens
Hessischer Rundfunk/Der Audio Verlag, Berlin 2018, 4 CDs, Laufzeit 262 Minuten, € 20,–