Da ist Lieselotte Radke, die erzählt, was sie als junge Frau kurz nach dem Kriegsende 1945 vor der Vergewaltigung rettete: Es waren die wollenen Unterhosen, die sie selbst gestrickt hatte. Statt eines Gummizugs waren sie mit einer Kordel zugeschnürt, die der russische Angreifer partout nicht aufbekam. Oder Norbert Bingenheimer, der schildert, wie er als kleiner Junge die Bombenangriffe auf seine Heimatstadt Mainz erlebte, bei denen seine Familie alles verlor, was nicht in den Keller gerettet werden konnte. Oder Günter Buchholz, der – gerade einmal 17 Jahre alt – 1945 noch zur Kriegsmarine eingezogen wurde und bei Kriegsende auf der Insel Wangerooge stationiert war.
Solche und zahlreiche weitere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die das Zeitalter des Nationalsozialismus und den Krieg an unterschiedlichen Orten erlebt haben, hat der Journalist Frank Schmidt-Wyk in ganz Deutschland besucht und sie darum gebeten, ihre Geschichten zu erzählen. Aus den Aufzeichnungen entstand die Serie „Erzähl mal!“ in der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“, die jetzt zusammengefasst auch als Buch vorliegt. Ergänzt werden die persönlichen Schilderungen vom Alltag im Nationalsozialismus durch fachkundige Einordnungen des Historikers Takuma Melber und ein Vorwort des Militärhistorikers Sönke Neitzel.
Rezension: Anna Joisten
Frank Schmidt-Wyk
Erzähl mal: Zweiter Weltkrieg
Zeitzeugen über den Alltag im Nationalsozialismus
Vergangenheitsverlag, Berlin 2022, 260 Seiten, € 16,–