Die Geschichte der Moral ist eine längere, als man vielleicht denkt. Der Philosoph Hanno Sauer hat den Versuch gewagt, sie in einer 400 Seiten umfassenden universalhistorischen Darstellung zu erzählen. Sein Buch beginnt vor nicht weniger als fünf Millionen Jahren. Weil unsere Vorfahren in Ostafrika aufgrund klimatisch-geographischer Veränderungen auf offene Flächen in Graslandschaften umsiedeln mussten und deshalb häufiger Raubtieren begegneten, waren sie gezwungen, miteinander zu kooperieren, so Sauer. Ihm zufolge war dies die erste entscheidende moralische Transformation der Menschheit. In den folgenden Kapiteln zeichnet er weitere solcher Transformationen in der moralischen Entwicklung nach. Das Buch endet in der Gegenwart bei den jüngsten Auseinandersetzungen um „Wokeness“, Identität und Rassismus.
Sauer betont, dass es sich bei seiner Darstellung um keine Geschichtsschreibung im traditionellen Sinn handelt und er lediglich ein „plausibles Szenario“ entwerfen wollte, „das ungefähr so abgelaufen sein könnte“. Auch wenn man an mancher Stelle gern tiefer gebohrt und sich ausführlichere Erläuterungen gewünscht hätte, enthält das Buch zahlreiche anregende Gedankengänge. Und es zeigt, dass es sich lohnt, weit zurückzublicken, um gegenwärtige Konflikte zu verstehen.
Rezension: Dr. Anna Joisten
Hanno Sauer
Moral
Die Erfindung von Gut und Böse
Piper Verlag, München 2023, 400 Seiten, € 26,–