Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Wie die Gesellschaft entdeckt wurde

Christof Dipper

Wie die Gesellschaft entdeckt wurde

damals Buch [Dipper Gesellschaft]Wir leben, so hört man immer wieder, in einer Zeitenwende, die durch Wandlungsprozesse gekennzeichnet sei, die sich mit den Schlagworten Populismus, Demokratie- und Klimakrise oder Digitalisierung verbinden. Dabei dreht sich vieles um die Frage, was all diese Veränderungen und Umbrüche mit „der Gesellschaft“ machen, auf die Soziologen, Demoskopen oder Journalisten ihren professionalisierten Blick richten, um Transformationskosten zu verbuchen und gesellschaftliche Chancen und Risiken zu vermessen.

Dies war um 1800 anders. Denn an der Wende zur Moderne, der sogenannten „Sattelzeit“ – den Begriff prägte der Historiker Reinhart Koselleck –, gab es diesen Gesellschaftsbegriff als Vorstellung eines sozialen Ganzen noch nicht, wie der Darmstädter Historiker Christof Dipper zeigt. Er widmet sein gedankenreiches Buch der Frage danach, wie und mit Hilfe welcher Begriffe die damals lebenden Menschen die in wenigen Jahrzehnten sich vollziehende Veränderung ihrer Welt ordneten. Das Werk stellt dabei keine Gesamtdarstellung dar, sondern kreist das Thema in drei begriffsgeschichtlichen Studien ein, die vor allem die zeitgenössische Publizistik in den Blick nehmen.

Der Verfasser fragt im ersten Teil danach, wie und wann sich der moderne Gesellschaftsbegriff durchgesetzt hat. Die Gebildeten beobachteten die rapiden Veränderungen ihrer Lebenswelten, nutzten dafür aber traditionelle Begriffe und hielten sich von empirischen Forschungen im engeren Sinn fern. Deshalb zeichnete sich der neue Gesellschaftsbegriff erst in den 1840er Jahren ab, während die Soziologie als Wissenschaft gesellschaftlicher Selbstbeobachtung sogar noch später, nämlich erst in den 1880er Jahren, ihren Durchbruch erlebte und damit auch all die Kategorien, mit denen wir bis heute über Gesellschaft nachdenken.

Der zweite Teil des Buches analysiert, welche Bilder die Zeitgenossen von ihrer Epoche entwarfen und welche Entwicklungspotentiale sie sahen. Der beschleunigte Wandel, das Massenelend der 1840er Jahre und die Dynamisierung sozialer Positionen führten dazu, dass zahlreiche Menschen versuchten, ihre Zeit begrifflich zu bestimmen. In diesen Versuchen bildet sich der Wandel von der Standes- zur Klassengesellschaft ab, wobei die alten ständischen Begriffe zunehmend entwertet, anders gefüllt oder mit neuen Konzepten in Verbindung gebracht wurden. Der Wandel der sprachlichen Erfassung der Welt verweist auf den Wandel dieser Übergangswelt.

Anhand von überlieferten Zahlen und Daten zeichnet Dipper im dritten Teil seiner Darstellung nach, inwiefern die Sozialordnung in Mitteleuropa im behandelten Zeitraum eine Übergangsgesellschaft zwischen ständischer Ordnung und marktbedingter Klasse gewesen ist.

Anzeige

Insgesamt bietet das gelungene Buch interessante Perspektiven, setzt aber erhebliche Kenntnisse bei seinen Leserinnen und Lesern voraus. Wer sich jedoch für die hier behandelten Fragen nach sozialen Veränderungen und deren begrifflicher Erfassung interessiert, der erhält zahlreiche Anregungen.

Rezension: Dr. Sebastian Rojek

Christof Dipper
Die Entdeckung der Gesellschaft
Sattelzeit in Europa 1770 –1850
Vergangenheitsverlag, Berlin 2023, 372 Seiten, € 24,–

Anzeige
DAMALS | Aktuelles Heft
DAMALS in den sozialen Medien
Bildband DAMALS Galerie
Der Podcast zur Geschichte

Geschichten von Alexander dem Großen bis ins 21. Jahrhundert. 2x im Monat reden zwei Historiker über ein Thema aus der Geschichte. In Kooperation mit DAMALS - Das Magazin für Geschichte.
Hören Sie hier die aktuelle Episode:
 
Anzeige
Wissenschaftslexikon

An|o|pie  〈f. 19; Med.〉 = Anopsie

iPhone®  〈[fn] n.; – od. –s, –s; IT〉 Mobiltelefon der Firma Apple®, das überwiegend über einen Touchscreen bedient wird

Sam|ba  〈m. 6; fachsprachl. f. 10; Mus.〉 aus einem Tanz brasil. Schwarzer hervorgegangener Gesellschaftstanz im 2 / 4 … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige