„Du willst es auch, oder?“ – eine Frage, die heute selbstverständlich scheint, wenn es darum geht, mit seinem Gegenüber den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Dass dies nicht immer so war, sollte niemanden erstaunen. Ein Meilenstein auf dem Weg dorthin war Napoleons „Code civil“, in dem der Beischlaf erstmals nicht mehr zu den ehelichen Pflichten gezählt wurde. Begründet wurde dies damit, dass in der Ehe die uneingeschränkte Freiheit gelten müsse, oder wie der am „Code civil“ beteiligte Rechtsgelehrte Jean-Étienne-Marie Portalis forderte: „Die süßeste aller Handlungen muss … auch die freieste sein.“ Die Ursprünge dieser Idee reichen jedoch weiter zurück: in das Zeitalter der Aufklärung.
Der Literaturwissenschaftler Johannes Kleinbeck skizziert die Geschichte des einvernehmlichen Sex von ihren Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Von Rousseau über Kant und Hegel bis hin zu Freud verfolgt er die Überlegungen der einflussreichen Denker, die forderten, dass ein Konzept von „Zärtlichkeit“ an die Stelle der Rechtspflicht des Ehevollzugs treten sollte. Dabei macht der Autor allerdings deutlich, dass die neuen Vorstellungen von Zärtlichkeit das Hierarchiegefälle zwischen Mann und Frau keinesfalls aufhoben, sondern vor allem für die Frauen stets auch neue Zwänge mit sich brachten.
Rezension: Dr. Anna Joisten
Johannes Kleinbeck
Geschichte der Zärtlichkeit
Die Erfindung des einvernehmlichen Sex und ihr zwiespältiges Erbe bei Rousseau, Kant, Hegel und Freud
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2023, 334 Seiten, € 28,–