Wounded Knee. Jeder Western-Fan kennt den Namen dieses Ortes und die grauenhaften Bilder: steifgefrorene Leichen in einer tiefverschneiten Landschaft; es sind die letzten Dezembertage des Jahres 1890. Am Wounded Knee hatte die U. S. Army ein Massaker unter indigenen Amerikanern angerichtet. Das Geschehen gilt als die letzte bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den Ureinwohnern des Kontinents und den „Weißen“ in den 400 Jahren seit der „Entdeckung“ Amerikas durch Christoph Columbus.
Doch der Kampf der indigenen Amerikaner um das Überleben – sowohl das physische der verschiedenen Nationen als auch das ihrer Kultur – und um ihre Menschenwürde, aber auch um die Ökologie ihrer Heimat, die Bewahrung vor restloser Ausbeutung und Zerstörung war am Wounded Knee nicht zu Ende. Wie der an der Universität Luzern lehrende Historiker Aram Mattioli in seinem neuen Buch, erkennbar eine Fortsetzung seines die beiden Jahrhunderte vor Wounded Knee abhandelnden Werkes „Verlorene Welten“, meisterhaft schildert, trat er in eine neue Phase. Statt mit der Waffe wurde er mit den Werkzeugen einer funktionierenden Demokratie geführt, mit Protesten und Prozessen, auch mit einer geduldigen Öffentlichkeitsarbeit.
Der Wandel in der Wahrnehmung der indigenen Amerikaner durch Hollywood ist ein prägnantes und weit über die USA hinausreichendes Beispiel für eine grundlegend geänderte Sichtweise. Waren in der Frühphase der Traumfabrik die „Indianer“ – ein Terminus, gegen dessen Verwendung Mattioli sich ausspricht – fast immer das Negative, wenn nicht gar das Primitive in der Storyline, gegen das nur ein John Wayne (wie im Klassiker „Stagecoach“ von 1939) oder die typischerweise im letzten Moment auf der Leinwand erscheinende Kavallerie helfen konnten, so haben sich die Sympathien der Filmemacher und mit ihnen des Publikums auch in Europa mit Werken wie „Der mit dem Wolf tanzt“ von 1990 endgültig den First Americans zugewandt.
Um beim Thema Film zu bleiben: Einer der wichtigsten Aktivisten in der Geschichte des indigenen Widerstandes ist Russell Means, ein Oglala-Dakota, der an einer der wenigen mit Gewalt verbundenen Aktionen 1973 am Wounded Knee (eine 71 Tage währende Belagerung durch Polizei und FBI mit zwei Toten – toten Indigenen) beteiligt war und eine der wichtigsten Figuren in Mattiolis Buch ist. Als Schauspieler verkörperte er First Americans wie vor allem Chingachgook in „Der letzte Mohikaner“ von 1992. Mattioli erinnert an Means und andere indigene Bürgerrechtler wie Charles Eastman, der als junger Arzt einige Verwundete des Massakers von 1890 behandelte und 1911 Delegierter beim First Universal Races Congress in London war. Es ist außerordentlich verdienstvoll, diesen Widerstand, der meist friedlich, gelegentlich auch militant war, der europäischen Leserschaft lebendig werden zu lassen – selbst vielen Amerika-Kennern ist er wenig bekannt.
Man liest das Buch mit immer neuen Wallungen von Scham, Empörung und – dort, wo von den Erfolgen der Bewegung erzählt wird – auch mit Genugtuung. Das gilt weniger für die allgemeinen Lebensbedingungen, bei denen viele Nationen oder Stämme immer noch hinter anderen demographischen Schichten liegen. Aber es trifft zumindest für die Politik zu: derzeit sechs indigene Kongress-Abgeordnete (je ein native Alaskan und native Hawaiian mitgezählt) ist Rekord – plus eine amerikanische Innenministerin aus dem Stamm der Laguna Pueblo. Was noch fehlt: ein Erster Amerikaner an der ersten Adresse des Landes: 1600 Pennsylvania Avenue.
Rezension Dr. Dr. Ronald D. Gerste
Aram Mattioli
Zeiten der Auflehnung
Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2023, 464 Seiten, € 28,–.