Inwieweit war die Wehrmacht an den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs beteiligt? Diese Frage wurde seit 1995 im Kontext der Hamburger Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941– 1944“ heftig diskutiert. Nach intensiver Forschung ist heute nicht mehr zu bezweifeln, dass die Wehrmacht mittel- oder unmittelbar in verschiedenste Kriegsverbrechen verstrickt war. Dennoch hat sich kaum eine Deutung so hartnäckig gehalten und war so einflussreich wie die der Schuldlosigkeit der Wehrmacht, die aus dem Zusammenhang des NS-Unrechtsregimes herausgelöst wurde.
Jens Brüggemann ist in seiner gut geschriebenen Dissertation der Frage nachgegangen, wo die Wurzeln dieses positiven Bildes liegen, und macht sie im Nürnberger Prozess 1945/46 aus. Angeklagte wie Wilhelm Keitel, Generalfeldmarschall und Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generaloberst Alfred Jodl und andere hochrangige Vertreter der Wehrmacht bekannten sich im Brustton der Überzeugung als „nicht schuldig“. Brüggemann untersucht minutiös, wie es den Spitzenvertretern der Wehrmacht mit Hilfe ihrer Anwälte gelang, diese Argumentationslinie gegen die Anklage durchzuhalten und damit ihre öffentliche Wahrnehmung zu prägen – letztlich über viele Jahrzehnte.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Jens Brüggemann
Männer von Ehre?
Die Wehrmachtgeneralität im Nürnberger Prozess 1945/46. Zur Entstehung einer Legende
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2018, 631 Seiten, € 39,90