Wer schon einmal gegenüber Taxifahrern, Zufallsbekanntschaften oder auf privaten Feierlichkeiten sein Interesse an der Zeitgeschichte zu erkennen gegeben hat, der hat mit ziemlicher Sicherheit auch schon von „Nazi-UFOs“ und „Reichsflugscheiben“ gehört. Was soll man zu diesen Vorstellungen bloß sagen? Antworten gibt die seriöse Untersuchung des Oldenburger Historikers Gerhard Wiechmann.
Sein Buch erscheint in einer Zeit, in der Verschwörungstheorien, Pseudogeschichte, „alternative Fakten“ und eine allgemeine Irrationalität zuzunehmen scheinen. Ist „das Internet“ für diesen Zustand der Welt verantwortlich, wie so häufig zu hören ist? Nein, antwortet Wiechmann gewissermaßen, denn seine Studie verfolgt die Wandlungen kaum auszurottender „fake news“ im analogen Zeitalter. Schon damals florierten wirrste Theorien. Zu diesen gehört die in verschiedenen Varianten auftretende Behauptung, der NS-Staat habe an sogenannten Flugscheiben gearbeitet und diese hochmodernen Waffensysteme entweder geplant oder sogar schon erste Prototypen fertiggestellt. Einen realen Kern der Geschichte gibt es nicht, weshalb sich Wiechmann hiermit gar nicht weiter aufhält, sondern unmittelbar mit einer Analyse derjenigen (Print-)Medien anfängt, welche diese Geschichte(n) verbreiteten.
Er rekonstruiert wie um 1950, als vor allem in den USA eine UFO-Hysterie im Kontext des Kalten Krieges um sich griff, die Idee auftauchte, es handle sich um eine geheime Technologie, welche entweder von verborgen lebenden Nazis verwendet werde oder aber von den Sowjets erbeutet worden sei. Da die Akten des Reichsluftfahrtministeriums lange Zeit unzugänglich waren, öffnete sich ein Raum für Spekulationen und Betrüger, welche behaupteten, an derartigen NS-Rüstungsprojekten beteiligt gewesen zu sein. Tatsächlich gingen diese Fiktionen schließlich sogar in seriöse Presseerzeugnisse und Handbücher ein, so dass sie zunehmend als Fakten wahrgenommen wurden. Bereits in den 1970er Jahren erschienen allerdings Texte, die diesen ganzen Unsinn widerlegten. Dessen ungeachtet existierte die Erzählung weiter und wurde von Esoterikern, „Ufologen“, Holocaust-Leugnern oder der Boulevardpresse immer wieder aufgegriffen.
Der Autor analysiert akribisch jede einzelne Publikation zum Thema und folgt hierbei allen Widersprüchen und Wandlungen in ihren Verästelungen. Leider hält er sich mit Thesen über die Motive der jeweiligen Autoren oder Überlegungen darüber zurück, warum diese Geschichte denn so attraktiv war (und offenbar ist). Man geht wohl nicht fehl, diese Motive in einem Feld zu suchen, das durch naive Technikbegeisterung, Freude an der Spekulation, politische Ziele und nicht zuletzt finanzielle Interessen abgesteckt wird.
Wer sich für das Thema interessiert, wird das Buch mit Gewinn lesen. Aber auch alle, die schon immer gewisse Zweifel an der These hatten, dass vor allem „das Internet“ für die Entstehung schwachsinniger Theorien verantwortlich sei, findet hier zahlreiche Gegenbelege.
Rezension: Dr. Sebastian Rojek
Gerhard Wiechmann
Von der deutschen Flugscheibe zum Nazi-UFO
Metamorphosen eines medialen Phantoms 1950–2020
Verlag Brill Schöningh, Paderborn 2022, 174 Seiten, € 39,90