Mit dem Motto „Jeder kann morgen ein Flüchtling sein“ beginnt das preisgekrönte Buch des Historikers Andreas Kossert, der damit unsere Anteilnahme einfordert. Nachdem der Autor bereits 2009 mit dem Werk „Kalte Heimat“ auf das Schicksal der deutschen Vertriebenen aufmerksam gemacht und damit eine Tabuzone der westdeutschen Gesellschaft betreten hatte, widmet sich das neue Buch dem Thema Flucht in größerem Zusammenhang.
Nach einer Klärung, was unter dem Begriff „Flüchtling“ zu verstehen ist, beleuchtet der Autor zunächst in Schlaglichtern globale Fluchtbewegungen von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. Dann schildert er – auf der Grundlage von Autobiographien und Romanen – sehr einfühlsam eine beeindruckende Vielzahl von Fluchtschicksalen aus den unterschiedlichsten Ländern und Kontinenten. Man liest von Ungarn, die aus Siebenbürgen, von Indern, die aus Pakistan oder von Griechen, die aus der Türkei fliehen mussten. Kossert geht es in diesen Geschichten weniger um die historischen Umstände als vielmehr um das universelle Schicksal von Flüchtlingen. Beschrieben werden das schmerzliche Verlassen des Herkunftsorts, die Gefahren der Flucht, das oft schwierige Ankommen in der neuen Heimat und das mühsame Weiterleben mit dem „Phantomschmerz“ des Heimatverlusts, für den es nur durch gelebte Erinnerung wie durch die „Heimwehküche“ kurze Linderung gibt. Das Buch ist als Appell zu lesen, Flüchtlingen echte Chancen zu eröffnen, dann, so zeigen die historischen Beispiele, können sie einen wertvollen Beitrag für die jeweilige Aufnahmegesellschaft leisten.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Andreas Kossert
Flucht
Eine Menschheitsgeschichte
Siedler Verlag, München 2020, 431 Seiten, € 25,–