Ivo Andrić war ein bedeutender Schriftsteller. Der 1892 als Sohn kroatischer Eltern in Bosnien Geborene erhielt 1961 den Nobelpreis für Literatur. Doch Andrić verfasste nicht nur – wie etwa mit seinem Werk „Die Brücke über die Drina“ (1945, deutsch 1953) – Weltliteratur, er war auch Politiker und Diplomat. Unter anderem war er Botschafter des 1929 gegründeten Königreichs Jugoslawien in diversen europäischen Hauptstädten, von 1939 an in Hitlers Berlin. 1941 kehrte Andrić in das inzwischen von den Deutschen bombardierte und besetzte Belgrad zurück.
Dem Journalisten Michael Martens gelingt es in seiner fesselnden Biographie, den Leser über diese dürren Fakten hinaus in die heute versunkene Welt eines kosmopolitischen und multireligiösen Balkans hineinzuführen und mit Hilfe von zahlreichen Zitaten seines Protagonisten dessen Persönlichkeit und Entwicklung zu beleuchten. Dem als elegant und gelehrt beschriebenen Andrić wurde in Berlin als überzeugtem Patrioten ein schwieriger Balanceakt abverlangt, versuchte er doch, die Neutralität Jugoslawiens gegenüber Nazi-Deutschland zu erhalten – letztlich vergebens. Dass er vor dem Beitritt seines Landes zum Drei-Mächte-Pakt kaltgestellt worden war, ermöglichte seine spätere Karriere im kommunistischen Land Titos. Andrićs Leben spiegelt so die aufwühlenden Geschehnisse des 20. Jahrhunderts wider.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Michael Martens
Im Brand der Welten
Ivo Andrić. Ein europäisches Leben. Biografie
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2019, 493 Seiten, € 28,–