Blasphemie oder Gotteslästerung – also die Schmähung und Herabwürdigung des Heiligen – schien ein Delikt von vorgestern zu sein, ist aber mit der Fatwa (dem Todesurteil) des iranischen Ajatollahs Khomeini gegen den Schriftsteller Salman Rushdie 1989 sowie mit verheerenden islamistischen Attentaten (Stichwort „Charlie Hebdo“) zur traurigen Gegenwart geworden.
Der Dresdner Historiker Gerd Schwerhoff nimmt dies zum Ausgangspunkt seiner erhellenden und gut geschriebenen Geschichte der Blasphemie, die den Themenkomplex von der Antike bis in die Gegenwart behandelt. Dienten gegenseitige Schmähungen schon in der Antike zur Abgrenzung der monotheistischen Religionen untereinander, so hatten die „Zungensünden“ im Mittelalter Hochkonjunktur. Wer gotteslästerliche Schwüre von sich gab, konnte mit drastischen Strafen wie dem Abschneiden der Zunge bestraft werden; andererseits wurde Blasphemie, je nach sozialem Kontext, auch toleriert.
Schwerhoff zeigt, welchen Stellenwert Gotteslästerung im Glaubenskonflikt der Reformation einnahm, welchen Wandel die Aufklärung mit sich brachte und wie im 19. Jahrhundert blasphemische Äußerungen zur politischen Waffe und in diesem Kontext „Staat“, „Nation“ oder „Volk“ gleichsam geheiligt wurden. Wir leben heute zwar in einer säkularisierten Welt, doch die Sprengkraft der Gotteslästerung kehrte zurück, werden doch seit 1989 heftige Identitätskonflikte ausgefochten, die wieder die Verletzung des „Heiligen“ kennen.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Gerd Schwerhoff
Verfluchte Götter
Die Geschichte der Blasphemie
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021, 521 Seiten, € 29,–