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Revolutionsdrama

Jörg Bong

Revolutionsdrama

Wer dieses im Buchhandel schon als „Bestseller“ angekündigte Buch ausliegen sieht und eine Geschichte der deutschen Revolution von 1848/1849 kaufen möchte – wie es der Titel verspricht –, wird enttäuscht: Das Buch endet mit der Niederschlagung des Hecker-Struve-Aufstandes in Baden am 30. April 1848. Aber die Leserinnen und Leser lernen doch so viel: Wer mit der Flamme der Leidenschaft einen historischen Roman als „atemberaubendes Panorama“ und „packend wie einen historischen Thriller“ (Klappentext) verfasst, der lässt bevorzugt Zeitzeugen zu Wort kommen und schreibt über Vergangenes nur im Präsens, damit es spannend wirkt (erster Satz: „Es stürmt, es schüttet, pechschwarze Wolken rasen über den Himmel …“). So verfährt nämlich der akademisch gebildete Germanist, Hobbyhistoriker, Krimiautor („Kommissar Dupin“) und renommierte langjährige Verleger des S. Fischer Verlages Jörg Bong.

Im Grunde leistet der Verlag seinem Autor einen Bärendienst, indem er das Werk als Sachbuch mit anpreisenden Zitaten aus der Wissenschaft ausstattet und im Titel die tatsächliche zeitliche Begrenzung verleugnet. Denn wer hingegen professionell über die Vergangenheit berichten will, der meide besser nicht die neueste Forschung und stelle zu seinen Augenzeugen durch das Präteritum eine Distanz her, weil er weiß: „Der Zeitzeuge ist der Feind des Historikers“ (Hans Günter Hockerts).

Theatralisch nach Art eines Dramas, teilt der Autor die historische Bühne ein in drei Lager: hier der Erzbösewicht, natürlich Metternich und sein angebliches System, dort die untadeligen Helden und – das sei gerühmt: endlich auch einmal – Heldinnen, also die Demokraten, und dazwischen die lauen Liberalen, welche die Revolution verraten. Nach Art einer Graswurzelgeschichte von unten und dabei Veit Valentins Standardwerk weidlich ausschlachtend, lässt der Autor „die Quellen sprechen“. Wo er sich einmal über diese Ebene erhebt, gelangt er zu schiefen Urteilen: 1848 war keineswegs die Phase der Hochindustrialisierung, und auch Darwin, dessen „Entstehung der Arten“ erst 1859 erschien, schlug im Revolutionsdiskurs keineswegs „wie ein Donnerschlag“ ein. Immer im personalen Diskurs der Narratio verhaftet, fehlen der Darstellung die analytische Kraft und das theoretische Unterscheidungsvermögen, die verschiedenen Ebenen der Revolutionsdynamik zu reflektieren und die grundlegende Problematik der Revolution als Zusammenprall einer rückwärtsgewandten Entwicklungskrise mit einer emanzipatorischen Modernisierungskrise zur Sprache zu bringen.

Das Buch ist ein Zeugnis sympathischen enragierten Demokratentums im Mantel eines völlig antiquierten Geschichtsbildes, eine geistesgeschichtlich-literarische Höhenkammwanderung, eine Blütenlese an Zitaten, insgesamt ein Werk, das man für keine Schule, keinen Lehrplan und auch kein Büro eines Journalisten oder eine sonst geschichtlich interessierte Leserschaft empfehlen möchte. Denn es gilt auch hier der Kurt Tucholsky zugeschriebene Satz: „Das Gegenteil von Gut ist nicht Böse, sondern gut gemeint“.

Rezension: Prof. Dr. Wolfram Siemann

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Jörg Bong
Die Flamme der Freiheit
Die deutsche Revolution 1848/1849
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 560 Seiten, € 29,–

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ko|me|ta|risch  〈Adj.; Astron.〉 zu einem Kometen gehörend, in der Art eines Kometen ● ~e Meteore; ~e Nebel

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