Dass die Biologie nicht die soziale Rolle determiniert, dass alle Menschen und ihre Kulturen zwar verschiedenartig, aber dennoch gleichwertig sind – diese Überzeugungen muten modern an, scheinen aber heute mehr denn je zum Gegenstand von erbitterten politischen Auseinandersetzungen zu werden.
Der amerikanische Politikwissenschaftler Charles King geht in seinem spannend geschriebenen Buch der Entstehung dieser Denkansätze – des Kulturrelativismus – nach und stößt dabei auf den deutschen, Ende des 19. Jahrhunderts in die USA ausgewanderten Ethnologen Fritz Boas und seinen Kreis. Dieser umfasste unter anderen die amerikanischen Wissenschaftlerinnen Margaret Mead, Ruth Benedict und Zora Neale Hurston, die erste afroamerikanische Ethnologin.
Wie Boas und seine Mitstreiterinnen mit ihrer Offenheit gegenüber dem Fremden, Anderen, nachhaltig das Vertrauen der Weißen in die Überlegenheit ihrer eigenen Zivilisation erschütterten und damit den herrschenden Rassismus in Frage stellten, das liest sich ausgesprochen fesselnd. King entwirft nicht nur treffende Charakterporträts und lässt uns geradezu hautnah die berühmten Expeditionen in die Arktis zu den Inuit, nach Samoa, in die Great Plains oder nach Indonesien miterleben, sondern er schildert auch das Verhältnis von anthropologischer Wissenschaft und US-Politik sowie Boas’ Kampf gegen Antisemitismus.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Charles King
Schule der Rebellen
Wie ein Kreis verwegener Anthropologen Race, Sex und Gender erfand
Carl Hanser Verlag, München 2020, 478 Seiten, € 26,–