Zwischen März und November 1945 reiste der englische Schriftsteller George Orwell im Auftrag der englischen Zeitung „Observer“ durch Deutschland und Österreich. In seinen lesenswerten Reportagen schildert Orwell betroffen das große Ausmaß der Zerstörungen, etwa in Köln: „Das Zentrum, das einmal berühmt für seine romanischen Kirchen und seine Museen war, ist nur noch ein Chaos von gezackten Ruinen, umgestürzten Straßenbahnen, zerbrochenen Standbildern und riesigen Trümmerbergen, aus denen wie Rhabarberstangen rostige Stahlträger her-ausragen.“
Er beschreibt befreite Kriegsgefangene, die voller Hass auf die Deutschen seien, die Verlorenheit der „Displaced Persons“, die er in den Lagern aufsucht, und erlebt die Deutschen mal devot, mal distanziert, mal feindselig, kaum reuig. Orwell, der die amerikanische Administration für ihre Effizienz lobt und vor der schwierigen Aufgabe sieht, „die Nazis aus den Nicht-Nazis her-auszusieben“, macht sich auch Gedanken über Deutschlands
Zukunft und kommt zu dem Schluss, dass „ein agrarisches Elendsgebiet“ Europa nicht weiterhelfe. „Nüchterne Urteile, differenzierte Analysen und hellsichtige Reflexionen“ bescheinigt Volker Ullrich in seinem ausführlichen Nachwort völlig zu recht dem Autor, der 1949, kurz vor seinem Tod, mit dem Roman „1984“ weltberühmt wurde.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
George Orwell
Reise durch Ruinen
Reportagen aus Deutschland und Österreich 1945
Verlag C. H. Beck, München 2021, 113 Seiten, € 16,–