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Reichhaltige Ideenwelt der frühen Neuzeit

Martin Mulsow

Reichhaltige Ideenwelt der frühen Neuzeit

dam0723bue07.jpgMartin Mulsows „Überreichweiten“ ist eine äußerst lesenswerte Studie zu den Möglichkeiten und Grenzen einer weitgespannten, „globalen“ Ideengeschichte, die, von einem europäischen Bezugsrahmen herkommend, räumlich (welt)weit ausgreift. Der Schwerpunkt liegt auf dem Jahrhundert zwischen Renaissance und Aufklärung, einer Zeit, in der das Weltwissen selbst der gelehrtesten Europäer unvollkommen, oft verfehlt oder irrig war, die Referenzen, Bezugnahmen und Verbindungen wenige, mittelbar und störanfällig waren. Darauf spielt der Titel des Buches, „Überreichweiten“, an: die für die Epoche kennzeichnenden „Fehlausgriffe“ und „Fehlwahrnehmungen“.

Der Band versammelt acht Fallstudien, die einen Eindruck von „der Vielfalt der Wege“ geben sollen, die eine globale Ideengeschichte der Epoche beschreiten kann. Ein Kapitel schreibt die traditionell auf Europa hin erzählte Geschichte des Hermetismus – eine seit der Antike existierende religiös-philosophische Offenbarungslehre – neu und bezieht dabei die vielfältigen – ägyptischen, persischen, gar chinesischen – „Tiefenstrukturen“ ein; eine zweite Studie untersucht die Bezüge der europäischen Debatte um „Präadamiten“ zu abbasidischen, jüdischen oder persischen Referenzen auf solche „Zeittiefen“; ein drittes Kapitel verfolgt die fruchtlose europäische Suche nach den Ingredienzen osmanischer Rauschmittel wie „Maslach“. Eine weitere Studie nimmt sich der europäischen Alchemie auf Batavia an, eine fünfte der chinesischen Bücher in der Bibliothek Leibniz’. Kapitel sechs versucht sich an vergleichenden, „verflochtenen“ und Transfer-Geschichten der Häresie; ein weiteres nimmt sprach- und religionswissenschaftliche Versuche in den Blick, die Menschheit nach der Fähigkeit zur Gotterkenntnis zu erfassen. Eine letzte Studie untersucht die Ideengeschichte des Teufelsglaubens im Vizekönigreich Peru.

Der Zauber des Buchs liegt in der Gelehrtheit und vielseitigen Belesenheit des Autors, die zeitlich wie auch räumlich weit reicht – vom chinesischen Antiquarianismus der Song-Zeit bis hin zur islamischen Gelehrtenrepublik Isfahans. Wie andere Forschende betont Mulsow die Notwendigkeit einer mikrologisch und fallbasiert arbeitenden globalen (Ideen-)Geschichte, geerdet in einer „Kulturgeschichte intellektueller Praktiken“ – der (Nicht-)Begegnungen und Lektürespuren, der Zettelkästen und Buchgeschenke. Daraus entsteht für die Epoche das feinlinige Bild einer vielgestaltigen und doch fragmentierten Ideenwelt, in der den Betroffenen oft mehr verborgen bleibt, als ihnen bekannt wird.

Das Buch ist, wie sein Sujet, bisweilen überbordend vielschichtig, umschweifig und bruchstückhaft; gerade darin liegt aber auch sein Reiz. Es erschließt dem Leser wie der Leserin eine ferne Ideenwelt, der die gängige Sprache der Globalgeschichte – von ungehinderter Zirkulation und weitreichender „Verflechtung“ – nicht gerecht wird. Sein Bild der Epoche als Zeitalter der intellektuellen „Überreichweiten“ wird Bestand haben.

Rezension: Prof. Dr. Stefanie Gänger

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Martin Mulsow
Überreichweiten
Perspektiven einer globalen Ideengeschichte
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022, 718 Seiten, € 42,–

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