Die „Goldene Bulle“ ist das bedeutendste verfassungsgeschichtliche Dokument des Mittelalters und Teil des Weltdokumentenerbes. Sie ist ein Gesetzbuch, das in 31 Kapiteln vorrangig die Wahl der römisch-deutschen Könige und Kaiser durch die sieben Kurfürsten regelte. Die ersten 23 Kapitel wurden auf dem Nürnberger Hoftag am 10. Januar 1356, die weiteren acht Kapitel auf dem Metzer Hoftag am 25. Dezember 1356 verkündet. Als „Grundgesetz“ des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation galt sie bis zu dessen Ende im Jahr 1806. Dabei muss betont werden, dass dem Mittelalter die modernen Begriffe von Staat und Verfassung fremd waren. Herrschaft war im Wesentlichen personenbezogen. Insofern waren die Rechtssätze der „Goldenen Bulle“ vor allem an die Kurfürsten adressiert.
Erhalten haben sich bis heute sieben Ausgaben. Zusätzlich existieren mehrere Abschriften. Die bekannteste davon ist die besonders prächtige Version, die im Jahr 1400 für den böhmischen (und zeitweiligen römisch-deutschen) König Wenzel angefertigt wurde. Ein derart wichtiges und von Anfang an herausragend gestaltetes Dokument verdient eine besondere Darstellung und Würdigung. Eva Schlotheuber und Maria Theisen haben diese nun vorgelegt. Sie befassen sich in einem großformatigen, gewichtigen und sehr schön ausgestatteten Band (den es gegen den doppelten Preis auch als in Leder gebundene Prachtausgabe gibt) mit allen Aspekten rund um die „Goldene Bulle“.
Das Buch lässt keine Fragen und keine Wünsche offen. Die erste Hälfte des Bandes stellt die historischen Umstände dar, unter denen die „Goldene Bulle“ entstand. Die Autorinnen analysieren die Rollen des Kaisers und der Kurfürsten im Reich. Sie schildern die schwierige Konsensbildung anhand der Regierungszeiten Kaiser Ludwigs und Karls IV., der zunächst nur ein Gegenkönig Ludwigs war. Bis zum 16. Jahrhundert waren die Königs- und die Kaiserkrönung voneinander getrennt. Letztere hatte durch den Papst in Rom zu erfolgen.
Welche Hindernisse Karl IV. rund 180 Jahre zuvor überwinden musste, bis er endlich (wenn auch nur durch einen Kardinal) gekrönt wurde, und welche Rolle der Humanist Francesco Petrarca dabei spielte, wird in dem Band ebenfalls dargestellt. Mehr als die Hälfte des Buches nimmt die „Goldene Bulle“ selbst ein. Die Autorinnen erläutern ihr Zustandekommen auf den Hoftagen in Nürnberg und Metz und schildern ihre langanhaltende Wirkung bis 1806. Die für König Wenzel hergestellte Fassung ist auf 157 Seiten vollständig und in Farbe abgedruckt. Im Anschluss erklären Schlotheuber und Theisen die Handschrift, beschreiben ihre Initialen und Miniaturen, liefern Angaben zu den Texten der sieben Originalausgaben und schließlich den lateinischen Text der „Goldenen Bulle“ mit einer neuhochdeutschen Übersetzung. Der Band ist ein Glücksgriff, der jedem am Mittelalter Interessierten zu empfehlen ist.
Rezension: Prof. Dr. Philipp Austermann
Eva Schlotheuber/Maria Theisen
Die Goldene Bulle von 1356
Das erste Grundgesetz des römisch-deutschen Reiches
wbg Theiss, Darmstadt 2023, 432 Seiten, € 150,–