Dass die Kenntnis der polnischen Geschichte in der deutschen Öffentlichkeit wenig ausgeprägt ist, ist ein ebenso offenkundiges wie beklagenswertes Faktum. Um so mehr ist es zu begrüßen, dass die von Andrzej Friszke und Antoni Dudek verfasste „Geschichte Polens 1939 – 2015“ nun auch in einer gut lesbaren deutschen Übersetzung vorliegt. Schon die Art der Darstellung verrät, dass sich das Werk an ein breiteres Publikum richtet: Auf eine methodenorientierte Einleitung wird ebenso verzichtet wie auf einen Anmerkungsapparat; stattdessen werden am Ende „bibliographische Nachweise“ gegeben.
Über die beiden Autoren verrät der Klappentext lediglich, dass sie „nicht nur namhafte polnische Historiker, sondern auch Zeitzeugen und scharfe Beobachter der aktuellen politischen Entwicklung ihres Landes“ sind. Tatsächlich wurden beide in der katholisch geprägten Oppositionsbewegung gegen das kommunistische Regime sozialisiert; beide Autoren waren zudem für mehrere Jahre Ratsmitglieder des in der polnischen Wissenschaftslandschaft sehr einflussreichen „Instituts für nationales Gedenken“ (IPN).
Die Darstellung nicht erst 1945, sondern bereits mit dem deutschen Überfall auf Polen 1939 einsetzen zu lassen erscheint naheliegend, ist die unter sowjetischer Ägide erfolgte Gründung der „Volksrepublik Polen“ doch eine unmittelbare Folge des Kriegsverlaufs. Unterteilt ist das Buch in zwei Abschnitte, von denen Friszke den ersten verfasst hat (1939 bis 1989), Dudek den zweiten (1989 bis 2015).
Der Schrecken der Nazi-Okkupation wird von Friszke breit herausgestellt, aber auch das Nachkriegsschicksal der deutschen Bevölkerung östlich von Oder und Neiße thematisiert (wobei, der „offiziellen“ polnischen Terminologie folgend, meist beschönigend von „Umsiedlung“ die Rede ist). Selbstkritisch fällt die Beschreibung antisemitischer Tendenzen innerhalb der polnischen Nachkriegsgesellschaft aus – vom Pogrom von Kielce 1946 bis hin zur „antizionistischen“ Regierungskampagne 1968. Die kommunistische Regierung in Polen wird als Fremdherrschaft charakterisiert, während die sich hiergegen formierende Opposition – getragen von der katholischen Kirche, von intellektuellen Zirkeln und schließlich von der Gewerkschaftsbewegung „Solidarność“ – breit abgehandelt wird.
Der zweite, der polnischen Demokratie seit 1989 gewidmete Teil ist ebenso detailliert ausgearbeitet, liest sich streckenweise aber wie eine rechtfertigende Erklärung der nationalkonservativen Wende von 2015. Das vermeintliche Versagen der liberalen Regierungen gerade in der sozialen Frage, die vormalige Dominanz der Linken etwa im staatlichen polnischen Fernsehen und nicht zuletzt die Klage darüber, dass die deutsche Außenpolitik über polnische Interessen hinweg eine „Achse Berlin-Moskau“ gebildet habe und dass die deutschen Medien die PiS-Regierungen mit einseitiger Feindseligkeit behandeln würden: Das sind Motive, wie sie seit 2015 auch immer wieder aus polnischen Regierungsverlautbarungen sprechen. Insofern ist es von Vorteil, die Autoren politisch einordnen zu können. Davon abgesehen, haben beide eine ungemein faktenreiche und umfassende Darstellung vorgelegt, deren deutsche Übersetzung hinsichtlich der jüngsten Vergangenheit unseres östlichen Nachbarlandes eine Wissenslücke zu schließen hilft.
Rezension: Prof. Dr. Roland Gehrke
Andrzej Friszke/Antoni Dudek
Geschichte Polens
1939 – 2015
Brill Schöningh, Paderborn 2022, 721 Seiten, € 69,–