Wenn wir frühmorgens auf einsamen Landstraßen unterwegs sind, sehen wir manchmal, wie es anmutig am Waldrand steht: das Reh. Den wenigsten ist dabei bewusst, dass die Beziehung zu dem scheuen Wildtier tief in unserer Kultur verankert ist. Von Horaz bis zu Heinz Erhardt hat das Reh Dichter inspiriert, war eine Muse für Künstler wie Franz Marc oder prägte als Bambi die Literatur- und (von Disney zum Hirsch gemacht) Filmgeschichte.
Der Journalist, Historiker und Jäger Rudolf Neumaier, zudem Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, hat sich des zierlichen Waldbewohners angenommen. Er liefert seinen Lesern eine unterhaltsame Kulturgeschichte. Darin erfahren wir nicht nur, wie Künstler das Reh gewürdigt haben, sondern auch, welche Rolle es in der Heilkunst spielte (Hildegard von Bingen empfahl den Verzehr von Rehleber als Krebs-Prophylaxe) oder welche Bedeutung dem Wild bei adligen Jagdveranstaltungen beigemessen wurde.
Über die historische Betrachtung hinaus lernt der Leser Details zur faszinierenden Biologie des Wildtiers, etwa was es mit der „Eiruhe“ auf sich hat. Politisch wird es, wenn der Autor sich den aktuellen Debatten zum Reh widmet, in denen er seinen subjektiven Standpunkt sehr deutlich vertritt. Eine knappe Auswahl an „Rehbüchern“ verweist am Ende auf weiterführende Lektüre. Leider enthält das Buch keine Abbildungen.
Rezension: Anna Joisten
Rudolf Neumaier
Das Reh
Über ein sagenhaftes Tier
Carl Hanser Verlag, München 2022, 224 Seiten, € 24,–