Die Geschichte der ersten frei gewählten deutschen Nationalversammlung ist erstaunlicherweise trotz ihrer zentralen Bedeutung für das Wollen der Revolutionäre von 1848/49 nur relativ selten in eigenen Publikationen behandelt worden. Zum 175. Jubiläum legt nun der Heidelberger Historiker Frank Engehausen, ein ausgewiesener Kenner der Revolutionsgeschichte, eine sich auch an ein breiteres Publikum richtende Überblicksdarstellung vor. Sein Buch will „keine Verlaufsgeschichte ihrer Debatten und Beschlüsse“ geben, sondern fragt nach den Impulsen, die von der Nationalversammlung „für die Etablierung einer demokratischen Praxis“ ausgingen.
Dabei geht es im ersten Hauptteil um die „Nationalversammlung als Ort demokratischer Praxis“: um die Paulskirche als Sitz des Parlaments, um die Abgeordneten, ihre Herkunft, Wahl und politische Orientierung, um die konkreten Abläufe der Parlamentsarbeit, und um die von der Nationalversammlung eingesetzte Reichsexekutive. Facettenreich wird auch das Verhältnis von Parlament und Öffentlichkeit erörtert. Engehausen hat für seine Studie neben der einschlägigen Forschung zahlreiche zeitgenössische Erinnerungen von Abgeordneten und Journalisten ausgewertet. Daran lässt er seine Leser mit ausführlichen Zitaten teilhaben, die viel Zeitkolorit vermitteln und die Darstellung anschaulich machen, ohne dass darunter die inhaltliche Präzision leiden würde.
Der zweite Hauptteil behandelt das Wirken und das Werk der Nationalversammlung. Unter vier gut gewählten Leitbegriffen schlägt Engehausen Schneisen durch die Fülle der in den Verfassungsberatungen behandelten Fragen. Zunächst wird der hohe Stellenwert der zeitgenössischen Freiheitsforderungen und deren Umsetzung in einem Grundrechtekatalog herausgearbeitet.
Den fundamentalen Umbruch, den das Gleichheitspostulat in einer noch vielfach vormodernen Gesellschaft auslösen musste, behandelt das zweite Kapitel. Vor allem die Abschaffung aller Adelsvorrechte, die Judenemanzipation sowie das politisch eminent wichtige Wahlrecht wurden in der Paulskirche ausführlich und kontrovers diskutiert. Verwirklicht werden sollten Freiheit und Gleichheit nach dem übereinstimmenden Willen nahezu aller Abgeordneten in einem neu zu schaffenden deutschen Nationalstaat.
Knapp und präzise zeichnet Engehausen die schwierigen territorialen Konflikte, die sich dabei ergaben, ebenso nach wie die diffizile Kompetenzverteilung zwischen Reich und Einzelstaaten. Der vierte und letzte Abschnitt spannt schließlich unter dem Stichwort „Volkssouveränität“ den Bogen von dem immer klarer erhobenen Machtanspruch der Nationalversammlung bis zu dessen Scheitern am preußischen Widerstand.
Mit einem leicht skeptischen Unterton bilanziert Engehausen abschließend die Leistungen und Defizite des Wirkens der Nationalversammlung, deren Verfassungswerk – wäre es denn realisiert worden – eine Fülle von Problemen aufgeworfen und das dennoch wohl große Chancen für den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte eröffnet hätte. Engehausen ist eine Würdigung der Frankfurter Nationalversammlung gelungen, die sowohl in ihren inhaltlichen Akzentsetzungen und in ihrer sachlichen Zuverlässigkeit als auch in ihrer Anschaulichkeit und Lesbarkeit vollkommen überzeugt.
Rezension: Prof. Dr. Dieter Hein
Frank Engehausen
Werkstatt der Demokratie
Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2023, 355 Seiten, € 34,–