Vielen ist Olof Palme noch als exponierter Vertreter der Friedensbewegung, als Vermittler im ersten Golfkrieg oder als Gesprächspartner von Willy Brandt in Erinnerung. Als Erbe des großen sozialdemokratischen Staatsmanns Tage Erlander war Palme zweimal Regierungschef in Stockholm: 1969 bis 1976 sowie 1982 bis zu seinem Tod. Zu seinen politischen Visionen zählten nicht nur die Idee einer egalitären Gesellschaft im Inneren, sondern auch ein atomwaffenfreies Europa sowie der Ausgleich zwischen Nord und Süd – Themen, die im vergangenen Vierteljahrhundert keineswegs an Aktualität eingebüßt haben.
Der btb Verlag (Random House/Bertelsmann) nimmt den Jahrestag zum Anlass, die vom Historiker und Journalisten Henrik Berggren in schwedischer Sprache verfasste Palme-Biographie auch dem deutschsprachigen Publikum vorzulegen. Der Verfasser lädt zu einer Reise durch das nicht allzu lange, gleichwohl aber außerordentlich ereignis- und begegnungsreiche Leben seines Protagonisten ein. Besonders viel Raum gibt er dabei den prägenden Jahrzehnten vor der eigentlichen Karriere als Regierungschef. So begann Olof Palmes politische Laufbahn schon in jungen Jahren im Umfeld der Studentenbewegung, und der Schwede war eben nicht nur Gesprächspartner von Brandt, Schmidt oder Kreisky, sondern bereits von Churchill und Ollenhauer. Insgesamt wird deutlich, dass Palme viele Jahrzehnte lang Schweden nach innen wie außen prägte, aber auch ein großer Europäer und Weltbürger war.
Das ikonenhafte Bild, welches vom schwedischen Staatsmann nach seiner Ermordung in der Öffentlichkeit gezeichnet wurde, wird aufgebrochen, indem Palme als Mensch mit all seinen Stärken und Schwächen, zudem mit seinen politischen Fehleinschätzungen gezeichnet wird. Auch auf das eher unbekannte private Leben wirft Berggren ein erhellendes Licht, so etwa auf Palmes Vorfahren, die aus konservativ-bürgerlichem Milieu stammten, und auf die Ehefrau des Politikers, Lisbet. Was als zufällige Bekanntschaft in einer Berghütte Lapplands begann, führte zu einer familiären und ideellen Partnerschaft von mehr als drei Jahrzehnten Dauer.
Palmes Tod wird nur am Rand gestreift, und Berggren klammert wohltuend den Sumpf an Spekulationen und vorgeblichen Theorien hierzu aus. Es bleibt dem Leser überlassen, seine eigenen Erinnerungen an diesen Tag und an die anschließenden Debatten zu bemühen: ein gelungener Schachzug des Verfassers, den Leser als Akteur in das Werk einzubinden und damit die Grenzen eines historischen Fachbuchs zu überschreiten.
Der unprätentiöse wie präzise Stil macht die Biographie zu einem wahrlich gelungenen Werk. Verzeihlich sind da einige Unschärfen zu Palmes politischen Interaktionen in der nicht-westlichen Welt. Wer neue, sensationelle Theorien zur Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten erwartet, mag vielleicht enttäuscht werden. Alle anderen erwartet ein spannendes Lesvergnügen, das nicht nur Palmes Leben in all seinen Facetten schildert, sondern gleichzeitig einen tiefen Einblick in die Befindlichkeiten Schwedens und Europas in der Zeit des Kalten Krieges liefert.
Rezension: Prof. Dr. Martin Krieger