Das Jahr 2004, in dem sich die Erhebung Napoléon Bonapartes zum französischen Kaiser zum 200. Mal jährt, hat uns einige neue Werke über den großen Korsen beschert, dessen Lebenslauf und Sturz bis heute die historisch Inter-essierten faszinieren. Beweis dafür sind die nach Zehntausenden zählenden Veröffentlichungen über ihn. Dabei ist auch ein so imponierender Machthaber wie der Revolu-tionsgeneral, Erste Konsul der französischen Republik und Herrscher über das erste französische Kaiserreich vor allem im Licht der Umstände seiner Zeit zu sehen, die seinen Aufstieg ermöglicht, seine politische Machtausübung begünstigt, zu seinem Sturz beigetragen und schließlich die politisch später ungemein wirkungsvolle Legende um seine Person zugelassen haben.
Dies wären Fragen der Sozial- und Wirtschaftsentwicklung Frankreichs sowie der Mentalitätsgeschichte der Franzosen um 1800 ebenso wie der politischen Konstellationen innerhalb Europas in diesem Zeitraum. Dem gerecht zu werden ist nicht leicht – und interessiert es das Lese?publikum überhaupt? Auf das Phänomen Napo-leon hat vielleicht Georges Lefebrve eine der schlüssigsten Antworten gegeben, gerade weil sein Buch eigentlich keine Biographie ist. Es handelt sich um einen Band der großen Weltgeschichtsreihe „Peuples et Civilisations“, der zuerst 1935 erschienen, 1953 neu bearbeitet, 1969 von Albert Soboul ergänzt und danach des öfteren wieder aufgelegt wurde. Bereits 1955 erschien eine bearbeitete deutsche Übersetzung, deren Neubearbeitung durch den Herausgeber Peter Schöttler hier vorliegt. Sie bietet im Anhang eine Liste der wichtigsten Neuerscheinungen zum Thema.
Das Besondere an Lefebvres Buch ist sein breiter Zugriff. Es handelt sich in der Tat um eine – immer noch lesenswerte – Geschichte des napoleoni-schen Zeitalters. Der Blick wird immer auch über Frankreich hinaus auf die übrige europäische Staatenwelt gerichtet, vor allem auf Napoleons großen Gegner Großbritannien. Hinzu kommt das ausgeprägte Interesse des Verfassers für wirtschafts- und sozialge-schichtliche Fragen sowie für die Lebenseinstellung der damaligen Franzosen, die den Aufstieg und Fall Napoleons besser erklärbar machen als das Unterstreichen seines Genies bzw. seines persönlichen Versagens. Es ist daher nicht weiter erstaunlich, daß ein sieben Jahrzehnte altes Werk noch dermaßen frisch und unmittelbar wirkt.
Rezension: Erbe, Michael