Burschenschaften und Corps waren einst allgegenwärtig an deutschen Universitäten – zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörten ihnen fast drei Viertel aller Studenten an. Als Vereinigungen von ausschließlich männlichen Studenten entwickelten die Burschenschaften und Corps eine ganz eigene Kultur, durch die sie vor allem ihre Männlichkeit demonstrativ unter Beweis stellten. An diesen Traditionen halten sie bis heute fest, wofür sie aber seit der Nachkriegszeit als reaktionäres Überbleibsel der Vergangenheit angefeindet und marginalisiert werden. Wer also nach einer Geschichte der Burschenschaften und Corps Ausschau hält, wird mit dem Umstand konfrontiert, dass solche Darstellungen oftmals das Ziel verfolgen, die Corpsstudenten für ihr Wirken entweder anzuklagen oder zu verteidigen.
Wolfgang Wippermanns Buch behandelt einerseits die Geschichte der Burschenschaften und Corps von ihren Ursprüngen im späten Mittelalter bis zur Gegenwart, andererseits werden Kultur und Habitus, insbesondere, wie sie im 19. Jahrhundert von den Corpsstudenten gepflegt worden sind, geschildert. Im Anhang befinden sich außerdem Kurzbiografien einiger bedeutender Corpsstudenten sowie ein knapper Forschungsüberblick. Von seiner Machart und Erzählweise her richtet sich das Buch dabei an ein breiteres Publikum. In seiner Einleitung schreibt Wippermann, dass Geschichte „aus kritischer Distanz und mit verständnisvoller Empathie“ geschrieben werden sollte. Für eine solche kritische und zugleich verständnisvolle Geschichte der Burschenschaften und Corps erscheint Wippermann durchaus geeignet, da er zum einen Mitglied einer Burschenschaft, zum anderen aber auch Professor für Neuere Geschichte ist.
Wippermanns tatsächliche Vorgehensweise hat mit diesem Vorsatz allerdings wenig zu tun. Anstatt die historischen Maßstäbe für das Wirken der Burschenschaften und Corps zu erläutern, um so ihr Verhalten in den Kontext der damaligen Zeit zu situieren, projiziert der Autor permanent Maßstäbe und Begriffe aus der Gegenwart auf die Vergangenheit, um die Corpsstudenten daran zu messen. Beispielsweise wirft er den Corpsstudenten des 19. Jahrhunderts vor, durch ihre deutsch-nationalen Überzeugungen gegen das Toleranzprinzip verstoßen zu haben, welches die Burschenschaften und Corps einzuhalten hatten. Dass diese deutsch-nationalen Überzeugungen aber ein allgemeines Merkmal der damaligen Zeit waren, und keine Besonderheit der Corpsstudenten, erklärt er nicht. Ebenfalls erklärt er nicht, was „Toleranz“ eigentlich für die damaligen Corpsstudenten bedeutete, stattdessen misst er sie an einem Toleranzbegriff der Gegenwart. Um aber einen historischen Begriff herauszuarbeiten, hätte der Autor eine kritische Auswertung von Quellen durchführen müssen, die übrigens so gut wie gar nicht stattfindet.
Was also hat ein historisch interessierter Leser letztlich von einer solchen Geschichte? Recht wenig, denn Wippermann pauschalisiert, wertet und urteilt eifrig, eine Einbettung aber der Corpsstudenten in ihre eigene Zeit mit Hilfe etwa von Selbstzeugnissen und eines gesellschaftlichen Vergleichs findet nicht statt. Dadurch verunklart Wippermann, statt aufzuklären, sodass es schwerfällt, einen Erkenntnisgewinn aus dem Buch zu ziehen.
Rezension: Damian Kozuch
Wolfgang Wippermann
Männer, Mythen und Mensuren. Geschichte der Corps und Burschenschaften
Osburg Verlag, Hamburg 2019, 250 Seiten, 24,00€