Nelson Mandela, der große Mann der südafrikanischen Geschichte, der seit den späten 1940er Jahren bis in die jüngste Vergangenheit hinein bedeutungsvolle Rollen spielte, wurde 1918 geboren. Pünktlich 100 Jahre später ist eine Mandela-Biographie auf den Markt gekommen. Vollmundig wird sie als „eine umfassend recherchierte und fesselnd zu lesende Biographie“, gar als „die erste umfassend recherchierte Biographie in deutscher Sprache“ angepriesen. Wer zu diesem Buch mit derart geweckten Erwartungen greift, wird schwer enttäuscht.
Der Autor, der bayerische Politikwissenschaftler Stephan Bierling, durch seine Arbeiten dezidiert nicht als Südafrika-Experte ausgewiesen, hat leider weder „umfassend“ recherchiert noch hat er das von ihm einbezogene Quellenmaterial seriös verarbeitet; vieles wird aus zweiter und dritter Hand übernommen. Häufig nennt der Autor allerdings auch Mandelas Autobiographie als Quelle. Deren Lektüre kann man wärmstens empfehlen, denn darin werden viele Sachverhalte adäquater und in deutlich besserem Stil geschildert.
Die Biographie Bierlings krankt zudem an einem grundsätzlichen Übel: Ihr Autor hat keinen rechten Begriff von der Geschichte Südafrikas und von den sozialen, ökonomischen und politischen Ungleichheiten, die seit dem 19. Jahrhundert konstituierende Faktoren und Realitäten dieser Geschichte sind. Wie die Architekten der Apartheid in der Vergangenheit, nimmt Bierling noch anno 2018 Südafrika allein durch Rassenkategorien wahr und behandelt diese so, als wären sie naturgegeben, statt sie als das kenntlich zu machen, was sie sind: nämlich Zuschreibungen zum Zweck der herrschaftlichen Kontrolle und zur bequemen Verfügung über „Humankapital“ auf Seiten der dominanten „Weißen“ (Buren, Briten und Leute anderer europäischer Herkunft).
Für alle anderen (sogenannte Schwarze, Coloureds, Inder) waren sie einerseits Kategorien, denen sie sich unter den kolonialen und Apartheid-Umständen nicht entziehen konnten, die sie aber andererseits kreativ zu nutzen wussten, um ihre Kräfte zu bündeln und Einigkeit gegenüber den Herrschenden herbeizuführen. Als einer der führenden Köpfe und Aktivisten des „African National Congress“ (ANC) war Nelson Mandela eine Schlüsselfigur solcher Einigungsbestrebungen gegen den rassistischen Apartheid-Staat, von Ende der 1940er Jahre an bis zum berühmten Rivonia-Prozess von 1963/64, der zu Mandelas Verurteilung und seiner 27 Jahre dauernden Haft bis 1990 führte.
Der Autor erzählt zwar davon, auch von den langen Jahren der Haft, in denen Mandela zunehmend zum einflussreichen politischen Faktor wurde, aber den realhistorischen Vorgängen in Südafrika wird Bierling nicht gerecht. Entsprechend scheitert aufgrund fehlender bzw. irreführender Kontextualisierungen auch eine treffende Einschätzung der Rolle Mandelas in diesen Jahrzehnten. Klar macht Bierling freilich, dass ihm Mandela in der Rolle des Freiheitskämpfers, von ihm entlarvend „Rebell“ genannt, ohnehin nicht sympathisch war.
Erst durch seine Haft sei der Mann, zuvor „heißblütig und gewaltbereit“, „zu einer besonnenen, abgeklärten Führungspersönlichkeit gereift“, die nunmehr „moralische Autorität, Willenskraft und Verhandlungsgeschick“ besaß. Bierlings Sympathie gilt allein dem alten Mandela, dem Staatspräsidenten, dem „elder statesman“. Wenn es aber um eine Einschätzung seiner bleibenden Wirkung geht, kehren vorschnelle Urteile wieder.
Dieses Buch ist ein Ärgernis. Es ist oberflächlich, plakativ, unseriös und tendenziös. In vielem falsch, passt es immerhin zum Ton der Zeit: Fake News, willkommen im Neuen Jahr.
Rezension: Dr. Arno Sonderegger
Stephan Bierling
Nelson Mandela
Rebell, Häftling, Präsident
Verlag C. H. Beck, München 2018, 416 Seiten, € 24,95