Zu Beginn war alles ganz normal: Als Lena Muchina als 16-Jährige ihr Tagebuch begann, war sie Schülerin, hatte die alterstypischen Sorgen. Doch dann begann am 8. September 1941 die Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht und finnische Truppen. Ziel war es, die Leningrader von aller Versorgung abzuschneiden. Auch Lena erlebte Hunger und Entkräftung, dazu unerträgliche Kälte und schließlich den Hungertod der beiden ihr wichtigsten Personen: ihrer Tante und einer alten Freundin der Familie. „Gestern Morgen ist Mama gestorben, ich bin nun allein“, notierte das Mädchen am 8. November 1941.
Präzise und oft unsentimental, daher umso anrührender für den heutigen Leser, beschreibt Lena ihre Erlebnisse. Sie schildert ihre Arbeit als Sanitäterin, auf die sie stolz ist – „Niemand wird es wagen, mich einen Nichtsnutz zu nennen“ –, die ewigen Fliegerangriffe, vor allem aber den allgegenwärtigen Hunger; bald kreist alles nur noch um das Thema Essen. Sie notierte die bange Frage: „Werde ich wohl am Leben bleiben?“, schwankte zwischen Zuversicht und Verzweiflung. Oft war es nur das Tagebuch, das ihr eine Bewältigungsmöglichkeit bot.
Lena Muchina überlebte die Blockade, die bis zum 27. Januar 1944 dauerte. Sie wurde zwar im Juni 1942 evakuiert, doch ihr Leben war von den schrecklichen Erfahrungen gezeichnet. Sie blieb dauerhaft ohne Familie, immer wieder mit langwierigen Krankheiten kämpfend. 1991 ist sie gestorben.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger