Fünf Spanier, eine Französin und ein Deutscher stellen in Wort und Bild Abenteurer, Diplomaten, Entdecker, Forscher, Kaufleute, Krieger, Missionare, Pilger und deren Reisen vor, entsprechend dem Titel der Originalausgabe: „Viajes y viajeros en la Europa medieval“ (Reisen und Reisende im mittelalterlichen Europa). Die Einbeziehung imaginärer Welten (vor allem in dem Bericht John Mandevilles) ist sinnvoll, weil „echte“ Reisende wie Kolumbus sich auch von Legenden leiten ließen. Wer sich Gedanken zur Aufgeschlossenheit und Ruhelosigkeit der Europäer macht, findet in diesem faszinierenden Panorama eine Fülle von Anregungen zum Weiterdenken.
Das Buch zeichnet sich durch einen weiten Horizont aus; astronomische Kenntnisse und das Denken in Räumen spielen eine große Rolle. Da der Text vor allem von Spaniern stammt, lernt der mitteleuropäische Leser deren Sehweise kennen. Dazu gehören Urteile, die sich um die hierzulande übliche, oft auf Selbstzensur hinauslaufende political correctness nicht scheren: Muslimische Araber werden mit einer „Lawine“ verglichen, ihr Tun mit dem Verb „zermalmen“ umschrieben. Dieselben spanischen Wissenschaftler würdigen aber auch die Bedeutung der Muslime für die Weitergabe antiker naturwissenschaftlicher Kenntnisse, philosophischer Erkenntnisse sowie technischer Fertigkeiten an Europa. Mehr noch: Viele der vorzüglich reproduzierten, oft großformatigen Abbildungen beziehen sich auf die Welt des Mittelmeers und Asiens; sie sind deutschen Lesern weniger bekannt und lassen sich als Einladung verstehen, ferne Museen und einzigartige Werke der bildenden Künste kennenzulernen.
Angesichts solcher Pluspunkte sind Unebenheiten umso bedauerlicher: Obwohl freier Platz zur Verfügung steht, bleiben Begriffe (Armillarsphäre), Buchtitel („Tacuinum sanitatis“), Geräte (Astrolabium) oder Personen (Pierre d’Ailly) unerläutert. Die Übersetzung wirkt nicht selten holprig, Abbildungen sind falsch datiert, Karten bleiben ohne Maßstab.
Rezension: Ohler, Norbert