Der SS- und KZ-Arzt Aribert Heim gilt neben Josef Mengele als einer der grausamsten Ärzte der NS-Zeit. Beide haben medizinisch nicht notwendige, bestialische Operationen an Menschen durchgeführt, beispielsweise Entfernungen von Organen, die ihre Opfer oft verstümmelt, in den meisten Fällen jedoch tot zurückließen. Das Simon Wiesenthal Center, das sich der Aufspürung von NS-Verbrecher verschrieben hat, versucht im Rahmen der Operation „Last Chance“, in Deutschland seit 2005 aktiv, der noch lebenden Nazis habhaft zu werden. Einer der Gesuchten war der österreichische KZ-Arzt Aribert Heim.
Der Historiker Stefan Klemp erzählt die Geschichte einer Fahndung, die von verschiedenen Seiten immer wieder torpediert wurde. Ob Behörden oder Journalisten, eine Reihe von Personen trug dazu bei, die Ermittlungen bewusst oder unbewusst zu behindern. So hatte bereits der Vorläufer der amerikanischen CIA, der CIC, nach 1946 durch Zeugenaussagen Kenntnis von Heims Taten im KZ Mauthausen. Dennoch konnten sich die Amerikaner in der politisch angespannten Lage der Nachkriegszeit nicht zu einer Strafverfolgung Heims entscheiden. In den folgenden Jahren verschleierte Heim seine Aufenthaltsorte, erlangte die Zulassung als Frauenarzt, heiratete eine Kollegin aus wohlhabendem Hause und erwarb eine Immobilie in Berlin.
1963 wurde endlich von den Behörden der BRD ein Zugriff versucht, der wahrscheinlich verraten wurde. Heim floh, entzog sich der Strafverfolgung und versteckte sich erfolgreich über mehrere Jahrzehnte vor den ermittelnden Behörden im Ausland, behielt aber Kontakt zu seiner Familie. Kurz vor der Wende, 1988, verkaufte der NS-Verbrecher in Berlin seine Immobilie. Der Gewinn betrug rund eine Millionen D-Mark. Heim, ganz ordentlicher Deutscher, ließ stets, während er im Ausland untergetaucht blieb, durch seine bevollmächtigten Anwälte sein Vermögen gesetzestreu versteuern.
2009 behaupteten Medien, namentlich das ZDF und die New York Times, den Fall Heim aufgeklärt zu haben. Aribert Heim sei in den 90er Jahren in Ägypten an den Folgen einer Krebserkrankung verstorben. Klemp kritisiert, dass auch hierbei durch vorschnelle Berichterstattung ein mögliches Auffinden der Leiche zur endgültigen Bestätigung des Todes zunichte gemacht wurde. So sei nicht abschließend geklärt worden, ob Heim tatsächlich verstarb.
Der Autor deckt in seinem stellenweise zutiefst verstörenden und atemraubenden Buch haarsträubende Entscheidungen und Verfehlungen auf Seiten der Behörden und der berichtenden Journalisten auf. Ausdrücklich lobt der Autor allerdings die aktuell ermittelnden Beamten des LKA Stuttgart, die mit der Jagd nach Heim in den letzten Jahren befasst waren. Klemps „KZ-Arzt Aribert Heim – Die Geschichte einer Fahndung“ lässt die Brutalität der Shoa und die Unzulänglichkeit der juristischen Verfolgung der NS-Täter schmerzlich bewusst werden.
Rezension: Jannick Tuinte