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Kranksein in der DDR

Florian Bruns

Kranksein in der DDR

dam0723bue15.jpgAuch wenn sozialgeschichtliche Fragestellungen in der Medizingeschichte nicht unbedingt mehr als eine Innovation zu bezeichnen sind, so fehlt es mehr als 35 Jahre nach Roy Porters wegweisendem Aufsatz „The Patient’s View: Doing Medical History from below“ noch immer in bestimmten Bereichen an grundlegenden historischen Studien zum Verhältnis von Patienten zum Gesundheitsmarkt.

Florian Bruns schließt mit seiner Habilitationsschrift zum DDR-Gesundheitswesen aus Patientensicht diese Forschungslücke ein Stück weit. Die DDR als Untersuchungsort zu wählen ist hinsichtlich der Quellenproblematik für solch alltagsgeschichtliche Fragestellungen nicht so überraschend, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Während für die Bundesrepublik kaum geschlossene Quellenbestände vorhanden sind, die Einblicke in die Patientensicht geben, liegen für die DDR Tausende von Eingaben vor, worunter man ganz allgemein Bürgerbriefe an öffentliche Institutionen verstehen kann. Schätzungen zufolge sind allein im letzten Jahrzehnt der DDR jährlich etwa 750 000 Eingaben an die unterschiedlichen Organe von Staat und Partei geschrieben worden, so dass in der Forschung von einer regelrechten „Eingabenkultur“ gesprochen wird. Die Entwicklung dieser „Eingabenkultur“ ist auf die 1952 in der DDR abgeschaffte Verwaltungsgerichtbarkeit zurückzuführen, wodurch das Verfassen einer Eingabe die einzige Möglichkeit der Bürger zum Widerspruch gegen Verwaltungsakte auf offiziellem Weg wurde.

Bruns stützt seine Untersuchung auf 300 Eingabenvorgänge aus der Zeit von 1971 bis 1989, in denen konkrete Probleme oder Anliegen geschildert werden, die sich auf die gesundheitliche Versorgung beziehen. Konkret fragt der Autor danach, wie die Patienten das Gesundheitswesen erlebt haben, welche Vorstellungen und Ansprüche sie artikulierten, und auch, mit welchen Enttäuschungen sie konfrontiert wurden. In einer differenzierten Analyse gelingt es ihm beeindruckend, den Erfahrungen der DDR-Bürger im Gesundheitssystem der DDR nachzuspüren, ohne dabei verallgemeinernd oder wertend vorzugehen. So weist er beispielsweise immer wieder darauf hin, dass in den Eingaben vorwiegend Konflikte oder Probleme geschildert werden und positive Erfahrungen und Erlebnisse in den Quellen oftmals zu kurz kommen.

Eine von vielen erhellenden Erkenntnissen aus der Lektüre des Buches bezieht sich auf die Unzufriedenheit vieler älterer Leute mit der gesundheitlichen Versorgung in der DDR, die strukturell eher auf die arbeitende Bevölkerung ausgelegt war. Durch den starken Ausbau des Betriebsgesundheitswesens konnten große Teile der Bevölkerung an ihrem Arbeitsplatz und in ihrer Arbeitszeit medizinische Leistungen in Anspruch nehmen. Im Rentenalter fiel diese Möglichkeit weg, und der Mangel an Ärzten auf dem Land oder von Plätzen in Feierabendheimen ließen insbesondere die alten Menschen die negativen Seiten des DDR-Gesundheitssystems spüren.

Rezension: Dr. Pierre Pfütsch

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Florian Bruns
Kranksein im Sozialismus
Das DDR-Gesundheitswesen aus Patientensicht 1971–1989
Ch. Links Verlag, Berlin 2022, 280 Seiten, € 25,–

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