An Überblickswerken zur Geschichte der Judenfeindschaft von der Antike bis zur Gegenwart herrscht kein Mangel. Und doch bietet jede neue Gesamtdarstellung die Möglichkeit, neue Perspektiven zu eröffnen, zumal dann, wenn der Blick aus der Peripherie – wie im vorliegenden Fall von drei norwegischen Historikern – geworfen wird.
Bei derart umfassenden Abhandlungen über die Epochen hinweg stellt sich indes die Frage, ob es überzeugend ist, den 1879 geprägten Neologismus des „Antisemitismus“ als Begriff für alle Formen von Judenfeindschaft zu allen Zeiten zu gebrauchen, oder ob die neue Qualität des Hasses auf Juden nicht auch einen spezifischen terminologischen Zugriff erfordert. Eriksen, Harket und Lorenz haben den Begriff Antisemitismus, wie sie schreiben, nur deshalb gewählt, weil er sich als Sammelbezeichnung durchgesetzt habe, sie betonen aber, der Antisemitismus repräsentiere „etwas Neues“.
Aus der Geschichte der Judenfeindschaft in Europa haben die Autoren verschiedene Episoden, Vorfälle und Konstellationen ausgewählt, die sie aufgrund der vorliegenden Literatur – sie beziehen sich insbesondere auf das umfangreiche Werk von Leon Poliakov – darstellen. Dabei behandeln sie nicht nur die Vorurteile gegen Juden, sondern immer auch die jüdische Geschichte.
Auf relativ kurze, von Trond Berg Eriksen verfasste Abschnitte zur antiken und mittelalterlichen Judenfeindschaft folgen seine ebenso knappen Ausführungen zur frühen Neuzeit. Dem schließt sich ein problematisches Kapitel zur Aufklärung an. Eriksen tut diese wenig überzeugend als eine totalitäre Ideologie ab, die eine neue Begründung für den Judenhass geliefert habe.
Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf den in weiten Teilen von Håkon Harket verfassten Kapiteln zum „langen“ 19. Jahrhundert. Aufschlussreich sind hier vor allem die Abschnitte über Dänemark und Norwegen.
Einhart Lorenz behandelt dann die Geschichte des Antisemitismus im deutschen Kaiserreich und in der Habsburgermonarchie sowie die Radikalisierung des Antisemitismus im Ersten Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit. Die Osteuropa betreffenden Kapitel hat Lorenz zusammen mit der an der schwedischen Universität Örebro lehrenden Historikerin Izabela A. Dahl verfasst. Ebenfalls von Lorenz stammen die Kapitel über das nationalsozialistische Deutschland und den Holocaust sowie seine Schilderung des Antisemitismus nach 1945. Zum Abschluss des Bandes thematisiert Harket den sogenannten neuen Antisemitismus im 21. Jahrhundert mit Schwerpunkt auf den Themen der Holocaust-Leugnung, dem Antisemitismus in der muslimischen Welt und dem antizionistischen, israelbezogenen Judenhass.
Die norwegischen Historiker haben eine große Zahl von Studien zur Geschichte des Antisemitismus ausgewertet – das Literaturverzeichnis umfasst 34 Seiten – und eine umfassende, insgesamt aber kaum neue Perspektiven bietende Darstellung der Geschichte der Judenfeindschaft vorgelegt.
Rezension: Prof. Dr. Ulrich Wyrwa
Trond Berg Eriksen/Håkon Harket/Einhart Lorenz
Judenhass
Die Geschichte des Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, 687 Seiten, € 50,–