Wer ein spannendes, farbiges, großartig geschriebenes Buch lesen will, der greife zu Stacy Schiffs Kleopatra-Buch. Der dramatische Ablauf dieses außerordentlichen Lebens wird mit großer Verve geschildert, und viele der in den Quellen und der ausgewählten Sekundärliteratur erscheinenden Einzelheiten werden ausgiebig nachgezeichnet und ausgemalt, besonders dann, wenn sie Dramatisches und Prachtvolles betreffen. Wer dagegen wie die Leser dieser Zeitschrift neben der schriftstellerischen Leistung auch erwartet, dass er sich auf die sachlichen Angaben verlassen kann, der sollte lieber auf das Buch verzichten.
Kleinigkeiten vorzurechnen wäre unangemessen. Die Autorin zeigt jedoch an zentralen Sachverhalten, dass sie Angaben in der ausgewählten Sekundärliteratur kritiklos übernimmt, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Ein schlagendes Beispiel ist der Name von Kleopatras erstem Sohn, der angeblich Kaisarion hieß. In Wirklichkeit hieß er Caesar, auf Griechisch Kaisar, und so wird er in sämtlichen auf Papyrus und auf Stein überlieferten Texten aus der Zeit genannt. Er hieß also wie sein römischer Vater, der das billigte, also einiges mit ihm vorhatte – und all das ist keine im Verborgenen blühende Erkenntnis, sondern durchaus in der Fachliteratur zugänglich, allerdings auf Deutsch, was vielleicht ein Hindernis darstellte.
Es gibt Versäumnisse in Bezug auf wichtige Sachverhalte. Völlig unbegreiflich ist, dass die „Esquilinische Venus“, die Statue einer unbekleideten Frau aus der frühen Kaiserzeit, nicht erwähnt wird. Mit gewichtigen Gründen hält sie Bernard Andreae – und der Rezensent ebenfalls – für Kleopatra; das ist gewiss umstritten, aber wenigstens diese Streitfrage hätte erwähnt werden müssen. Dasselbe ist für den Papyrus zu sagen, in dem Kleopatra einem Römer bedeutende Steuerprivilegien zuspricht und den die Verfasserin ausgiebig und wortreich vorstellt. Kleopatra habe ihn „diktiert“, meint sie sogar ohne Anhalt im Text. Das mag so sein, aber Schiff verschweigt, dass der Papyrus einen Schlussvermerk trägt, der von vielen als Kleopatras Handschrift angesehen wird – auch davon kein Wort.
Die antiken Quellen, die ja zu einem großen Teil aus späterer Zeit stammen, werden zumeist ohne Rücksicht auf ihre Verlässlichkeit und durcheinander erwähnt, wie bei den wenig nützlichen Hinweisen am Beginn der Anmerkungen zum jeweiligen Kapitel, wo etwa mitgeteilt wird, dass „Cicero, Plinius und Plutarch“ ein „unschätzbarer Leitfaden“ seien. Die englischen Quellen‧zitate sind der Übersetzung einer populären zweisprachigen Reihe entnommen und dann ins Deutsche übersetzt, statt dass direkt aus den antiken Quellen übersetzt wird.
Die Sekundärliteratur ist fast ausschließlich englisch, Heinz Heinens großes Kleopatra-Buch ist für die deutsche Fassung „hineinoperiert“ worden. Auch das Französische ist anscheinend eine Fremd-Sprache. Nie hat Blaise Pascal gesagt, Kleopatra habe eine lange Nase gehabt, wie Stacy Schiff kenntnislosen Autoren nachspricht. Er sagte vielmehr, die Geschichte hänge oft an Kleinigkeiten wie der, dass sie wohl anders verlaufen wäre, wenn Kleopatras Nase plus court gewesen wäre. Kürzer also, auf jede denkbare Länge bezogen.
Rezension: Prof. Dr. Wolfgang Schuller