Wer Thailand kennt, der weiß die weiten Strände, das tropische Klima, die aromatischen Speisen und die Freundlichkeit der Menschen zu schätzen. Wenig dagegen ist von der großen Geschichte des Landes bekannt. Das Buch des Münsteraner Ethnologen Volker Grabowsky schafft hier umfassend Abhilfe. Es handelt von den naturräumlichen Vor-aussetzungen der thailändi‧schen Geschichte, von den zivilisatorischen Vorläufern und den Wanderungen der Tai aus Südchina heraus, von der Entstehung glanzvoller Kapitalen in Sukhothai und Ayutthaya, aber auch von den Reichsbildungen im Süden, Norden und Nordosten, also an der Peripherie des späteren Nationalstaats. Ausführlich verfolgt der Autor den zeitweise verschlungenen Weg Thailands in die Moderne.
Wie ein roter Faden zieht sich die schwierige geopolitische Lage des Landes durch seine Geschichte. Immer musste Thailand die Interessen der Großmacht China im Auge behalten und gleichzeitig die Ansprüche dominanter Nachbarn wie Birma oder Vietnam abwehren. Im 17. und 19. Jahrhundert kamen die europäischen Kolonialmächte, im 20. Jahrhundert Japan und die USA hinzu. Thailand war immer darauf angewiesen, zwischen den Mächten zu lavieren und mittels einer geschickten Schaukelpolitik seine staatliche Unabhängigkeit zu bewahren, was ihm immerhin als einzigem Land in Südostasien gelang.
Der Autor macht deutlich, welche Rolle der „subjektive Faktor“ dabei spielte. Thailand wurde gerade in schwierigen Zeiten von bedeutenden Herrschern regiert, die es verstanden, die Kräfte des Landes zu bündeln und den territorialen Bestand zu sichern: Ram Khamhaeng, der das Reich von Sukhothai zur Blüte führte, Naresuan, der sich gegen die Herrscher von Birma behaupten konnte, Narai, der die europäischen Kolonialmächte gegeneinander auszuspielen versuchte, und schließlich Chulalongkorn, der die Modernisierung Thailands betrieb. Die Monarchie genießt deshalb hohen Respekt und gilt nach wie vor als Garant der nationalen Einheit, auch und gerade angesichts der heftigen Konflikte zwischen den „Gelbhemden“ (den Anhängern des früheren Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra bzw. des amtierenden Abhisit Vejjaviva) und den „Rothemden“ (den Regierungsgegnern), die das Land seit 2006 erschüttern. Grabowskys Darstellung reicht bis zu den blutigen Unruhen im Mai 2010 und macht deren Hintergründe, Ursachen und Eigenart deutlich.
Das Buch besticht durch die Fülle der Information, die Ausgewogenheit der Urteile und eine ebenso genaue wie anschauliche Sprache, die auch die dunklen Seiten der thailändischen Geschichte transpa‧rent macht. Wer damit durch das Land reist, ist hervorragend unterrichtet und versteht viel besser, was er sieht.
Rezension: Prof. Dr. Folker Reichert