An Arbeiten über Karl den Großen herrscht kein Mangel. Die Übersetzung eines italieni-schen Werkes aus dem Jahr 2000 lässt daher lohnende Besonderheiten erwarten. Tatsächlich bemüht sich Alessandro Barbero, dem modernen Leser die fremde Welt des frühen Mittelalters leicht verständlich zu erklären. Er behandelt ebenso ausführlich wie anschaulich alle wichtigen Aspekte der Karlszeit: die fränkisch-karolingische Vorgeschichte, die Eroberungskriege gegen Langobarden und Heiden, Karls Kaiserkrönung (die allerdings nicht wirklich eine „Wiedergeburt des Römischen Reichs“ bedeutete) sowie den Menschen Karl und seine Familie (nicht ohne einen Hinweis auf sein reges Sexualleben).
Weitere sieben Kapitel beschreiben anschaulich die Regierungsinstrumente, die Bildung und die Gelehrten am Karlshof, die „fränkische Kriegsmaschinerie“, die neuen Wirtschaftsformen und die Gesellschaft sowie den Alltag in einem karolingischen Dorf. Die Biographie endet folgerichtig mit einem Abschnitt über Alter und Tod Karls des Großen, den Barbero in den letzten Jahren in mancherlei Hinsicht als gescheitert ansieht. Allerdings hebt er die verstärkte Gesetzgebung als positives Ergebnis hervor. „Vater Europas“ – die italienische Fassung spricht hier treffender von „einem Vater Europas“ – war Karl in der Perspektive der heutigen Geschichtswissenschaft allerdings nur bedingt.
Die Stärke dieser flüssig geschriebenen und leicht lesba-ren Karlsbiographie liegt für den Laien zweifellos darin, dass Barbero die Sachverhalte einfach, oft mit modernen Vergleichen, erklärt. Die an exemplarischen Episoden anschaulich aus den Quellen heraus beschriebenen Szenen sind allerdings nicht immer hinreichend kritisch durchdrungen: Es mag der Anschaulichkeit der Darstellung, nicht aber deren Glaubwürdigkeit dienen, wenn Barbero mit Vorliebe die vor 887 entstandenen Anekdoten des St. Galler Mönchs Notker einbindet, die amüsant zu lesen sind, aber kaum etwas über die Karlszeit vermitteln können.
Manche Urteile sind fraglich: Magische Praktiken sind nicht einfach Ausfluss einer „Volksreligion“; dass es kaum technische Neuerungen gab, entspricht nicht mehr dem Forschungsstand, und dass Karls Geburtsjahr schlecht bezeugt und strittig ist, liegt gewiss nicht an der Unmöglichkeit der Zeitgenossen, die Zeit zu messen. Anderes ist schlichtweg falsch: Karl setzte weder Herzöge ein, noch hat er seine Urkunden eigenhändig unterschrieben. Manchmal wird es sogar geradezu romanhaft. Wer eine sachgerechte Karlsbiographie lesen will, wird daher weiterhin auf die erfolgreiche Monographie Dieter Hägermanns (Reinbek 2003), für eine Kurzbiographie auf das Bändchen Matthias Bechers (München 1999) zurückgreifen müssen.
Rezension: Goetz, Hans-Werner