Die umfangreiche Biographie widmet sich dem Leben und Wirken einer der wichtigsten politischen Figuren des 20. Jahrhunderts: David Ben Gurions. Sie bietet zugleich eine umfassende und gründliche Darstellung der ereignisreichen Gründerzeit des modernen Staates Israel.
Anhand einer detaillierten Auswertung der zahlreichen Tagebücher, Aufsätze, Bücher, Briefe und Reden Ben Gurions zeichnet der israelische Journalist und historische Schriftsteller Tom Segev im ersten Hauptteil seines Buchs den frühen Werdegang des im Jahr 1886 in der polnischen Kleinstadt Płońsk geborenen und als David Josef Grün aufgewachsenen, begeisterten Anhängers der zionistischen Idee nach und verfolgt seinen Weg zur Macht.
Der zweite Hauptteil widmet sich dem beachtlichen Beitrag des ersten Premierministers Israels an der Gründung und Konsolidierung des israelischen Staatswesens. Verwiesen wird dabei nicht nur auf seine besonderen Stärken, Vorzüge und Leistungen, sondern auch auf seine Fehler, Schwächen und Misserfolge. Immer wieder beleuchtet Segev dabei auch das Privatleben Ben Gurions, sein Familienleben und seine Affären.
Besonders lebhaft geschrieben und spannend zu lesen sind die Abschnitte zur Wirksamkeit des jungen politischen Agitators und entschiedenen Verfechters einer zionistischen Geschichtserzählung, zu seiner Übersiedlung nach Palästina und zu seinen anfangs vergeblichen Versuchen, zunächst als einfacher Tagelöhner, später dann als Journalist zu überleben, umgeben von Glücksrittern, religiösen Spinnern und Armutsmigranten. Außerdem erfährt man etwas über Ben Gurions Eintritt in die britische Armee im Jahr 1918 und zu seiner kurzen Dienstzeit in einem – tatsächlich militärisch völlig nutzlosen – jüdischen Bataillon.
Durchaus kritisch behandelt werden die politischen Aktivitäten des populären Arbeiterführers während der aggressiven und mitunter blutigen Auseinandersetzungen mit palästinensischen Arabern und der britischen Mandatsregierung. Dies betrifft sowohl Ben Gurions Rolle bei der Unabhängigkeitserklärung und Staatsgründung Israels und bei der Organisation der illegalen Einwanderung verfolgter europäischer Juden als auch seine Verantwortung für die Eroberung und Räumung arabischer Dörfer. Sein unerschütterlicher Glaube an den Zionismus zwang ihn wiederholt dazu, während des Unabhängigkeitskrieges jüdische Kämpfer in den Tod zu schicken.
Ebenso akribisch wie fesselnd schildert Segev die Beteiligung Ben Gurions an der Ansiedlung und gesellschaftlichen Integration von Juden aus der ganzen Welt, seine erbitterten innenpolitischen Machtkämpfe insbesondere mit Vertretern eines religiösen Antimodernismus, seinen Rückzug aus der Politik und sein „Comeback“ als Verteidigungsminister, sein Agieren während des Eichmann-Prozesses sowie seine entscheidende Rolle bei der – durchaus umstrittenen – Aufnahme diplomatischer Kontakte Israels mit Deutschland. Diese leitete einen Versöhnungsprozess zwischen beiden Staaten ein und mündete in ein Wiedergutmachungsabkommen.
Die quellengesättigte Biographie bietet eine solide und mitunter geradezu fesselnd zu lesende Darstellung des Lebensweges David Ben Gurions vor dem Hintergrund der weltpolitischen Verhältnisse seiner Zeit.
Rezension: Prof. Dr. Michael Tilly
Tom Segev
David Ben Gurion
Ein Staat um jeden Preis
Siedler Verlag, München 2018, 800 Seiten, € 35,–