Oft wird die Jugendbewegung nur mit heiterem Gitarrenklang, loderndem Lagerfeuer und munterem Wanderschritt verbunden. Doch die gemeinschaftlich-idealistischen Anliegen der Jugendlichen entwickelten sich im Lauf des Ersten Weltkriegs zu dezidiert politischen Positionen, wie Antje Harms in ihrer Studie zeigt. Sie hat die bürgerliche Jugendbewegung zwischen 1913 und 1923 analysiert und findet ein breites politisches Spektrum: von völkisch-national und antisemitisch bis hin zu sozialistisch.
Im ersten Teil der Studie werden einzelne Zusammenschlüsse untersucht: der „Wandervogel“ als Ausgangspunkt der völkischen Jugendbewegung sowie die „Freideutsche Jugend“ – beide Bünde zusammen umfassten die Hälfte der etwa 60 000 Mitglieder der Jugendbewegung. Betrachtet wird auch der „Deutsche Mädchen-Wanderbund“, der sich zwar frauenemanzipatorisch, aber auch antisemitisch gab, oder der linke Flügel um den Mentor Gustav Wyneken. Im zweiten Teil arbeitet Harms anhand der biographischen Daten von 100 Personen heraus, welche Faktoren zur Ausbildung ihres politischen Bewusstseins beitrugen und es bestimmten. Dabei berücksichtigt sie auch die weiblichen Angehörigen der Jugendbewegung, die in anderen Studien oft vernachlässigt wurden.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Antje Harms
Von linksradikal bis deutschnational
Jugendbewegung zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik
Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2021, 580 Seiten, € 49,–