Als die Menschen noch in Höhlen lebten, gingen die Männer auf die Jagd, während die Frauen sich als Sammlerinnen betätigten – so zumindest das weitverbreitete Bild vom prähistorischen Geschlechterverhältnis. Aber könnten nicht auch Frauen Bisons gejagt, Werkzeuge geschnitzt und Höhlenmalereien angefertigt haben? Diesen Fragen geht die französische Ur- und Frühhistorikerin Marylène Patou-Mathis auf den Grund.
Ihre Studie zeichnet zum einen nach, wie Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts prähistorische Frauen zum unterworfenen Geschlecht machten. Zum anderen zeigt sie, dass die archäologischen Quellen durchaus Beweise liefern, dass die Strukturen in der Altsteinzeit keinesfalls so patriarchal waren, wie lange angenommen wurde: Skelette von Neandertalerinnen weisen Verschleißerscheinungen auf, die von der Jagd herrühren könnten. Neben Höhlenmalereien finden sich häufig weibliche Handabdrücke, die als Signaturen gedeutet werden. Funde in Grabstätten lassen auf eine gehobene gesellschaftliche Stellung von Frauen schließen, wie der Leichnam einer Frau zeigt, den eine Halskette aus 64 Eckzähnen einer seltenen Hirschart schmückte. Die Beweislast ist nicht erdrückend, aber die Autorin macht deutlich, dass auch für die Annahme einer männlichen Vorherrschaft kaum ausreichend Indizien vorliegen.
Rezension: Anna Joisten
Marylène Patou-Mathis
Weibliche Unsichtbarkeit
Wie alles begann
Carl Hanser Verlag, München 2021, 288 Seiten, € 24,–