David Van Reybrouck hat mit seinem Werk eine umfassende Geschichte der Entstehung des modernen Indonesien vorgelegt. Dies ist umso begrüßenswerter, als es bis jetzt – zumindest in deutscher Sprache – nur sehr wenig Literatur zu diesem Thema gibt, wie überhaupt das Riesenland Indonesien bei uns in Wissenschaft und Gesellschaft völlig unterbelichtet ist.
Van Reybroucks Buch liest sich sehr flüssig, ermöglicht durch den journalistisch-erzählenden Stil. Die Detailreiche des Werkes wird auch dadurch befördert, dass er sehr stark auf Oral History zurückgreift, das heißt auf Befragungen von Augenzeugen. Bestechend ist auch die Kontextualisierung dieser jüngeren Geschichte auf einer Zeitschiene, die mit der Kolonialisierung seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts beginnt, sowie in einen regionalen und internationalen größeren Zusammenhang.
Manchmal hat man aber auch den Eindruck, dass weniger mehr gewesen wäre, da bisweilen die großen Linien aus dem Blick geraten. Man hätte auf manche Redundanz verzichten können. Auch fragt es sich beispielsweise, welchen Sinn es hat, Gurkhas in Nepal zu befragen, die nie selbst in Indonesien gewesen waren. Auch die politischen Prozesse werden bisweilen nicht recht deutlich. Die Wechselwirkungen zwischen den politischen Strömungen hätten besser, das heißt stringenter, hervorgehoben werden können. Zum Beispiel kommt nicht die Bedeutung der heftigen Debatte um den zukünftigen Staatscharakter im Zuge der Unabhängigkeitserklärung zum Tragen. Diese ist sehr wichtig und bis heute im politischen und gesellschaftlichen Diskurs des Landes virulent und präsent.
Zum Schluss legt der Autor sehr viel Aufmerksamkeit auf die Rolle Indonesiens im Aufbau einer postkolonialen Weltordnung. Diese Heraushebung Indonesiens wird den historischen Umständen und der Rolle anderer antikolonialer Kräfte nicht ganz gerecht. Auf der anderen Seite fehlt für die Nachkriegszeit der Hinweis darauf, dass nach der Unabhängigkeit eben nicht ein goldenes Zeitalter eintrat, sondern Staatsführer Sukarno das Land in 15 Jahren in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abgrund führte, dessen Boden mit dem Militärputsch und seinen desaströsen Folgen 1965 erreicht wurde. Unter ihm zerfiel die Infrastruktur; durch die Enteignungen und die Übergabe der ausländischen Besitztümer an korrupte Militärs and andere Beamte erodierte die Wirtschaft; und durch seine sogenannte gelenkte Demokratie zerstörte Sukarno jeglichen demokratischen Willensbildungsprozess. Auch dies gehört zum antikolonialen Narrativ.
Dessen ungeachtet ist Reybroucks Werk erhellend für jeden, der sich über die Geschichte Indonesiens informieren möchte. Und sogar über die indonesische Geschichte im engeren Sinn
hinaus: So ist es sehr spannend, etwas über die Rolle von Indonesiern im holländischen antifaschistischen Widerstand zu erfahren. Auch dies ist ein Aspekt, über den es kaum Informationen gibt, geschweige denn Interviews mit Betroffenen. Eine klare Leseempfehlung erscheint angemessen.
Rezension: Prof. Dr. Fritz Schulze
David Van Reybrouck
Revolusi
Indonesien und die Entstehung der modernen Welt
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022, 751 Seiten, € 34,–