Den Gesamtdarstellungen zur Geschichte des Antisemitismus fügt der Judaist und ehemalige Direktor des Jüdischen Museums Berlin Peter Schäfer eine weitere hinzu. Entgegen den Interpretationen, die die Diskontinuität der Judenfeindschaft betonen und den Neologismus „Antisemitismus“ allein für die Zeit seit dem 19. Jahrhundert verwenden, spricht sich Schäfer für die Kontinuität des Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart aus. Mit der Frage des Begriffs hält er sich nicht lange auf, Versuche einer Definition hält er
für nicht zweckdienlich.
Seine Darstellung beginnt im Vorderen Orient, führt schrittweise nach Europa und konzentriert sich schließlich auf Deutschland. Die Ursprünge des Antisemitismus liegen nach Schäfer, generös über die wissenschaftlichen Kontroversen hierzu hinweggehend, in der vorchristlichen Antike. Differenziert stellt er die Entwicklung von der innerjüdischen Polemik hin zur christlichen Judenfeindschaft sowie die Positionen christlicher Autoren im Übergang von der Antike zum Mittelalter dar. Im frühen Islam wiederum waren Juden wie Christen Schutzbefohlene. Im mittelalterlichen Europa pendelte die Lage der Juden zwischen Schutz, Ausbeutung und Verfolgung.
Für die frühe Neuzeit konstatiert Schäfer eine neue positive Wahrnehmung unter humanistischen Autoren, während Martin Luthers zunächst von Verständnis geprägte Position zu einem „Antisemitismus in Reinkultur“, umgeschlagen sei. Unterschiedslos beschuldigt Schäfer im nächsten Kapitel die französischen Enzyklopädisten um Denis Diderot antijüdischer Vorurteile.
Dem 19. Jahrhundert unterstellt er einen gesellschaftlich akzeptierten Antisemitismus. In seinem Überblick über die Emanzipation der Juden in Europa blendet Schäfer gänzlich aus, dass die Juden durch die Gleichberechtigung von einer verachteten und ausgegrenzten Randgruppe zu Akteuren in der Mitte der Gesellschaft wurden, dabei auf breite Ablehnung stießen und so der moderne Antisemitismus entstand.
Das deutsche Kaiserreich zeichnet Schäfer pauschal als „antisemitische Konsensgesellschaft“. Dabei lässt er den Kampf gegen den Antisemitismus außer Acht und deutet die Unterschiede zwischen den verschiedenen soziokulturellen Milieus und politischen Lagern nur sehr kurz an. Verloren geht dabei die Einsicht, dass der Antisemitismus am Ende des 19. Jahrhunderts gesellschaftlich eher diskreditiert und als politische Bewegung gänzlich gescheitert war.
Die Weimarer Republik handelt er allein mit Blick auf 1933 unter der Überschrift „Im Vorhof der Hölle“ ab, ohne auf den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen Antisemitismus einzugehen. Nach einer knappen Rekapitulation der Verfolgung der Juden in der NS-Zeit und der Schoah thematisiert Schäfer am Ende seines Buchs den Antisemitismus nach Auschwitz. In den letzten beiden Abschnitten geht er auf aktuelle Debatten um den islamischen Antisemitismus und die antiisraelische Boykottbewegung ein. Abschließend kritisiert Schäfer, für einen Vertreter des „ewigen Antisemitismus“ ungewöhnlich, dass der Vorwurf des Antisemitismus „allzu oft politisch instrumentalisiert“ werde.
Rezension: Prof. Dr. Ulrich Wyrwa
Peter Schäfer
Kurze Geschichte des Antisemitismus
Verlag C. H. Beck, München 2020, 335 Seiten, € 26,95