Als der Naturforscher Georg Wilhelm Steller 1741 mit dem dänischen Marineoffizier Vitus Bering von Kamtschatka nach Alaska reiste, gab es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über den arktischen Raum. Sein Reisetagebuch, in dem er unter anderem Naturbeobachtungen festhielt, zeugt von den Anfängen der empirischen Erforschung des Polargebiets. Zugleich bediente Steller sich aber auch Erzählverfahren aus der zeitgenössischen Abenteuerliteratur. Sein Tagebuch ist deshalb eine aufschlussreiche Quelle für die Frage nach der Verflechtung von Wissenschafts- und Imaginationsgeschichte polarer Räume.
Hier knüpft die vorliegende Studie an, in der die Literaturwissenschaftlerin Dorit Müller untersucht, wie sich das Erzählen über Reisen in die Polarregionen seit dem frühen 18. Jahrhundert veränderte. Sie spürt anhand von Geschichten von Seefahrern, Expeditionsberichten von Polarforschern, Zeichnungen, Kartenmaterial, Fotos und Filmen aus insgesamt drei Jahrhunderten nach, wie die empirischen Erkenntnisse über die Polarregionen und die künstlerischen sowie literarischen Vorstellungen polarer Räume sich wechselseitig beeinflussten. Das Buch bietet Einsicht in spannende Quellen zu Polarreisen und in die phantastischen Gegenwelten, die Literatur, Kunst und später auch Filme von den eisigen, lebensfeindlichen Regionen schufen.
Rezension: Anna Joisten
Dorit Müller
Polarreisen
Zwischen Empirie und Imagination
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2022, 430 Seiten, € 34,80