Oft hört man, zur DDR sei alles gesagt. Die tiefschürfende Dissertation von Anja Schade über das politische Exil von südafrikanischen Kommunisten und Mitgliedern des mit ihnen kollaborierenden südafrikanischen Nationalkongresses (ANC) in der DDR liefert mit ihrer Kombination aus politischer Analyse und historischer Sozialstudie ein bestechendes Gegenbeispiel. Während etwa zu ausländischen Arbeitern in der DDR eine Reihe von Untersuchungen vorliegt, ist dies in Bezug auf in die DDR geflohene Exilanten bisher nur punktuell der Fall.
In ihrer an der Freien Universität Berlin eingereichten Schrift erläutert die Autorin schlüssig in Abgrenzung zu den oft miteinander vermengten Begrifflichkeiten Flucht und Migration die Umstände des Exils im Allgemeinen sowie die Strukturen des südafrikanischen Exils in der DDR unter den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges im Besonderen. Unweigerlich führt sie dies vor der von ihr anschaulich aufgeblätterten Kulisse eines damals in Südafrika herrschenden Apartheid-Regimes und des dort seit 1961 verbotenen ANC zu den Wurzeln und Leitlinien der Afrika-Politik der DDR und ihren Kontakten zu Südafrikas Kommunisten auf verschiedensten Ebenen.
Kenntnisreich fügt sie dabei bekannte Facetten dieser temporär oder auf Dauer angelegten Verbindungen (Gesundheitswesen, Militärhilfe, Auslandspropaganda) zu einem vielschichtigen, durchaus ambivalenten Stimmungsbild zusammen. Denn dass die stets devisenschwache DDR bis 1963 einen lebhaften Außenhandel mit der Republik Südafrika unterhielt, konterkarierte die von ihr selbst propagierten afrikapolitischen Prämissen des Antikolonialismus oder des Antiimperialismus extrem.
Gewissenhaft führt Schade den Leser an den Kern ihrer Untersuchung heran, in dem sie auf Basis von 49 Zeitzeugeninterviews herausarbeitet, aus welchen Gründen und auf welchen Wegen es die aus dem politischen Untergrund heraus agierenden Südafrikaner in die DDR verschlug und was das für sie bedeutete: Verlust der Heimat, Trennung von der Familie, Annahme einer geheimen Identität, Zukunftsängste. Offengelegt wird zudem, welche Erwartungen jene Exilanten mit ihrem Gang in die DDR – die meist für eine Ausbildung, ein Studium, als Gesandte des ANC oder zur militärischen Schulung dort weilten – verbanden und speziell, wie sie selbst das Leben dort im Abgleich mit ihren teils idealisierten Vorstellungen von der DDR empfanden. Dabei traf die Erleichterung über den erlangten Schutz vor politischer Verfolgung auch auf ernüchternde Eindrücke des Alltags im „real existierenden“ Sozialismus, der den Exilanten als Verbündeter der Anti-Apartheid-Bewegung galt.
Entstanden ist ein breitgefächertes Spektrum an Exil-Erfahrungen, die bei den Beteiligten bis heute nachwirken, und die lesenswerte Dokumentation einer externen afrikanischen Sicht auf das mit Zwischentönen gespickte gesellschaftliche Leben in der DDR. Schade hat mit ihrem Werk eine der wichtigsten Arbeiten zur Afrikapolitik der DDR des vergangenen Jahrzehnts vorgelegt.
Autor: Dr. Daniel Lange
Anja Schade
Das Exil von ANC-Mitgliedern in der DDR
Eine transnationale Verflechtungsgeschichte um Solidarität im Kalten Krieg
LIT Verlag, Münster 2022, 398 Seiten, € 39,90