Das neue Buch des Stuttgarter Historikers Wolfram Pyta über Hitler ist – wie sein früheres über Hindenburg (Siedler Verlag, 2007) – weniger eine Biographie als eine Herrschaftsanalyse. Im Vordergrund stehen eher kulturwissenschaftliche Aspekte als politische und wirtschaftliche Faktoren. Zunächst zeigt Pyta, dass Hitler sich als Künstler – genauer gesagt als Architekt – verstand und dass dieses künstlerische Denken seinen Aufstieg zum Politiker begünstigte.
Der Theaterliebhaber Hitler begeisterte sich früh für Richard Wagner, dessen Opern ein alle Sinne ansprechendes „Gesamtkunstwerk“ waren. Die Beschäftigung mit Wagner weckte in Hitler den Wunsch, „Baumeister“ zu werden, und schärfte sein Bewusstsein für das Zusammenspiel von Ton, Bild, Wort und Raum. Das daraus entwickelte „ästhetische Konzept“ förderte seinen Aufstieg zum „Politgenie“ und prägte sein Handeln als Politiker und Feldherr.
Der Redner Hitler verstand sich auf „messianische Inszenierungen“ und gewann immer mehr Anhänger. Seine ersten Erfolge als Reichskanzler und die damit verbundene Inszenierung seiner Person in Presse, Rundfunk und Wochenschau zielten auf die Etablierung eines „Geniekults“. Der Künstler-Politiker Hitler war – Pyta zufolge – nicht nur ein charismatischer Herrscher, sondern stilisierte sich auch als Genie.
Im zweiten Teil seiner Studie erläutert Pyta, wie sehr der Künstler in Hitler auch seine militärischen Entscheidungen bestimmte. Hitler führte den Krieg vom Kartentisch aus, nicht vom Schlachtfeld. Anhand exakter Lagekarten glaubte er den Raum beherrschen zu können. Er sah sich in der Tradition Friedrichs des Großen und hielt sich für ein „Genie der Tat“, das – wie sein Vorbild Friedrich der Große – risikoreiche Aktionen wagen und auf die Hilfe des Zufalls bauen durfte.
Nach den ersten Niederlagen 1941 mied Hitler zunehmend öffentliche Auftritte. Den damit verbundenen Charisma-Verlust kompensierte er über den „Geniekult“ und sicherte so seine Herrschaft. Der Feldherr Hitler musste auf defensive Kampfführung umschalten, befahl, das eroberte Terrain „bis zum letzten Mann“ zu halten, und gefiel sich als „größter Festungsbauer aller Zeiten“. Folgerichtig nahm er sich bei Kriegsende in der „Festung Berlin“ das Leben. Pyta hat ein kluges Buch geschrieben, das durch seinen interdisziplinären Ansatz die bisherige Sicht auf Hitler ergänzt. Seine Herrschaft kann es indes nicht erschöpfend erklären, da es zentrale Faktoren wie den NS-Terror nahezu ausblendet. Es bleibt abzuwarten, welches Bild der in London lehrende Historiker Peter Longerich in seiner für Oktober angekündigten Biographie von Hitler zeichnet.
Rezension: Dr. Claudia Steur