Den Kommunismus, wie ihn sich Marx und Engels als herrschaftsfreie Zukunftsgesellschaft vorgestellt hatten, gab es nie. Bis heute blieb er nur ein Ideal, auch wenn verschiedene Regimes als kommunistisch betrachtet wurden oder sich als solche ausgaben. Was es hingegen sehr wohl gab, das waren verschiedene Ideologien des Antikommunismus. Und als Ideologie war jede Form des Antikommunismus nicht nur ein „falsches Bewusstsein“, sondern auch eine ernstzunehmende politische Kraft. So legt sich der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann seine Karten zurecht, bevor er zu seiner Ideologiegeschichte des Antikommunismus ausholt. Von seinen Anfängen bis heute möchte er sie skizzieren, und das in einem globalen Rahmen – alles auf 160 Seiten! Gleich vorab: Wer auf begriffliche Schärfe und eine differenzierte Analyse Wert legt, wird in diesem Buch nicht fündig. Dafür liefert die Studie aber einen anregenden Überblick über die Geschichte des Antikommunismus in den verschiedensten nationalen Kontexten. Zu Beginn richtet sich der Blick auf Deutschland. Den Ursprung des Antikommunismus verortet Wippermann in einer Verschwörungstheorie, die sich erst gegen einen vermeintlichen „Bund der Kommunisten“ und dann gegen die „Internationale Arbeiterassoziation“ unter dem Vorsitz von Karl Marx richtete. Marx und seine Gefolgschaft wurden für den Aufstand der Pariser Kommune 1871 gegen das Regime Napoleons III. verantwortlich gemacht – von wem genau, bleibt unklar. In der Vorstellungswelt vieler Deutschen wurde der Kommunismus zu einer im Geheimen agierenden, die Weltrevolution planenden Organisation. Viel mehr erfährt der Leser über den Entstehungskontext des Antikommunismus nicht. Denn Wippermanns Anliegen ist es vor allem hervorzuheben, dass bereits die Wurzel des Antikommunismus auf falschen Tatsachen, auf Mythen und auf einem zweck- und zielorientierten Konstrukt basierten. „Kaum etwas war richtig, aber alles war wichtig und wirkungsvoll“, so der Autor, der sich im Folgenden fast ausschließlich auf eben diese Wirkung und die Instrumentalisierung des Antikommunismus konzentriert, andere wichtige Aspekte aber, wie beispielweise verschiedene Wirkungsstärken oder unterschiedliche Arten des Antikommunismus, unberücksichtigt lässt. Für Wippermann ist der Antikommunismus von Beginn seiner Entstehung an nur als ein Konglomerat aus verschiedenen Ideologien zu verstehen. In Deutschland – und darüber hinaus – kam es zu einer unzertrennlichen Verbindung von neuen antikommunistischen und alten antisemitischen Verschwörungstheorien. Nahtlos und unvermittelt lässt Wippermann diese antikommunistisch-antisemitische Ideologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts über den Umweg von Hitlers „Mein Kampf“ in den „ideologischen Vernichtungskrieg“ gegen die „jüdisch-bolschewistische“ Sowjetunion münden – mit Millionen von erschossenen und bewusst dem Hungertod preisgegebenen Kriegsgefangenen und 30 Millionen toten Sowjetbürgern. „Zu dieser Schuld hätte man sich bekennen und anklagen müssen“, fordert Wippermann. „Doch das Gegenteil geschah. Die Deutschen klagten nicht sich, sondern den alten und neuen Feind im ‚Osten‘ an.“ Und damit ist der Autor bereits in der deutschen Nachkriegsgeschichte angelangt. Seine Verkürzungen sind drastisch und provokant, aber gerade dadurch erhalten seine Thesen ihren Nachdruck. Die personelle Kontinuität nationalsozialistischer Führungskräfte über 1945 hinaus wurde vielfach erforscht; Wippermann zeigt anhand des Antikommunismus die geistige. Dem Nachkriegsdeutschland bescheinigt er einen erneuerten, nun verfassungsrechtlich legitimierten Antikommunismus. Ob dieser allerdings die Zustimmung der Deutschen zur Demokratie positiv beeinflusste, stellt er mit Blick auf das verfassungsrechtlich fragwürdige KPD-Verbot von 1956 strikt in Frage. Der „demokratisierte“ Antikommunismus der Bundesrepublik unterschied sich vom nationalsozialistischen für den Berliner Historiker nur in einem Punkt: der Antisemitismus war verschwunden. Ob in der Totalitarismus-Theorie, im Historikerstreit oder der neuen DDR-Forschung: In der Behauptung einer Vergleichbarkeit zwischen dem Kommunismus und Nationalsozialismus sieht Wippermann den Antikommunismus bis heute fortbestehen. Anstelle diesen Antikommunismus aber einer näher bestimmenden Analyse zu unterziehen, richtet er den Fokus auf die geschichtspolitische Absicht, die er darin zu erkennen glaubt: Die Schrecken des Dritten Reiches sollten relativiert, der Kommunismus dämonisiert werden. Wenn Wippermann über die deutschen Grenzen hinausblickt, zeigt sich, dass der Antikommunismus in verschiedenen Ländern und Zeiten und in unterschiedlichen Formen anzutreffen war. Auch in den USA avancierte er zur Staatsideologie. Eine mündige Arbeiterbewegung konnte sich aus Furcht vor dem „inneren Feind“ nie entwickeln. Repressionen und Verbrechen gegen „kommunistisch“ stigmatisierte unerwünschte Personen und Organisationen prägten sowohl die US-amerikanische Innen- als auch Außenpolitik des 20. Jahrhunderts. In Frankreich war der Antikommunismus zunächst weitaus schwächer ausgeprägt. Der kommunismusaffinen französischen Intelligenz war es geschuldet, dass es bis zur Veröffentlichung von Solschenizyns „Archipel Gulag“ dauerte, ehe, so der Autor, der Antikommunismus zu einer weitverbreiteten französischen Denkkategorie wurde. Besonders hier wirkt Wippermanns begriffliche Unschärfe störend, denn „Antistalinismus“ wäre hier der weitaus treffendere Begriff gewesen. Anschließend werden die Auswüchse des Antikommunismus als politische Kraft in Italien, Polen und Spanien beschrieben. Im letzteren wird vor allem die tolerierende Rolle der katholischen Kirche „im antikommunistischen Ausrottungsfeldzug der spanischen Faschisten“ hervorgehoben. Auch in Chile, Indonesien, dem Iran und während des Apartheid-Regimes in Südafrika diente der Antikommunismus als Vorwand für teilweise bis zum Völkermord ausufernde Gewalttaten gegenüber Oppositionellen und Minderheiten, wie Wippermann in einem abschließenden Kapitel zeigt.
Das alles ist essayistisch-polemisch vorgetragen. Eines sollte aber klar benannt werden: Wippermann geht es keineswegs darum, die grausamen Auswüchse autoritärer Regimes wie des Stalinismus oder Maoismus der Kritik zu entziehen. Wichtig sei aber, dass die Ideologie wie auch immer gearteter kommunistischer Regime und die Ideologie des Antikommunismus voneinander getrennt werden. Sein Versuch aus dieser Perspektive den Antikommunismus vorrangig nach seiner zweifelhaften Berechtigung und seinen kritikwürdigen Auswirkungen zu befragen, regt durchaus zum Nachdenken an und verdeutlicht, wie viel Bewältigungsarbeit in dieser Hinsicht noch zu leisten ist. Problematisch ist jedoch, dass Wippermanns vehement anti-ideologische Betrachtungsweise aufgrund ihrer Undifferenziertheit schon beinahe selbst ideologisch erscheint. Dass die Studie aber bereits in der Lage ist, den Antiislamismus als neuen Platzhalter des Antikommunismus in der unmittelbaren Gegenwart klar zu benennen, führt den Leser in Zeiten teilweise oft auch bewusst geschürter Angst gegen den Islam fast zwangsläufig zu der immer wiederkehrenden Frage, was wir aus der Geschichte lernen können.
Rezension: Alexander Schmid